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Mein sehnsüchtiges Herz: Heute graben von Mario Schlembach

Heute grabenMario Schlembach ist mit Heute graben eine von morbider Romantik überquellende Autofiktion gelungen, die – großes Kompliment an den Verlag Kremayr Scheriau – äußerlich betörend schön ist und innerlich die dunkle Magie unerwiderter Liebe mit Pathos und Selbstironie beschwört.

“Heute graben” – das ist der erste Satz und so ziemlich jeder Tag in Marios Leben. Der hat das Studium abgebrochen und ist aus der Stadt zurück aufs Land, um seinem Vater beruflich unter die Arme zu greifen – als Totengräber. Währenddessen beginnt er die Arbeit an einem Roman und dieser schildert – scheinbar ohne groß zu fiktionalisieren – die Geschichte seiner großen und, natürlich, gescheiterten Liebe. Was er da in seinen Notizheften zu Papier bringt, bekommt der Leser von Heute graben nicht zu lesen. Die Vermutung liegt aber nahe, dass es sich im Duktus vom vorliegenden Text vielleicht gar nicht so sehr unterscheidet – aber das ist selbstverständlich reinste Spekulation.

Heute graben nimmt den Leser, sofern er ein Herz und das schon einmal verschenkt hat, sofort gefangen. Da sind herrlich lakonische Sätze, selbstbemitleidend und selbstironisch zugleich, etwa: “Eine einfache Verkühlung und ich denke, ich muss sterben. Wahrscheinlich eine Berufskrankheit” (7).

Tatsächlich leidet Mario nicht an einer einfachen Erkältung, zu seiner Sinnkrise gesellt sich eine Gesundheitskrise: Wie Thomas Bernhard, mit dem er sich während des Studiums intensiv beschäftigte, ist er an einer akuten Sarkoidose erkrankt. Sowohl die Auseinandersetzung mit der Krankheit als auch seine Beschäftigung mit der Literarisierung seiner gescheiterten Liebe nimmt sodann den Großteil dieser Erzählung ein, in die neben dem Alltag als Totengräber auch – wie meta! – Reflexionen zum autobiografischen Schreiben eingewoben sind (auch Idol Thomas Bernhard schrieb ja autobiografisch). Zwischendrin sind noch einige Dating-Episoden gestreut. Denn Mario ist wirklich ein Romantiker, der nicht nur der einen Frau hinterher trauert, sondern sich durchaus schnell verliebt. Auf Seite 29 beschreibt sich der Text treffend selbst: “Totengräber sucht Liebe und wird mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert”.

Mario Schlembach ist mit Heute graben ein wahrlich guter, aber nicht perfekter Text gelungen. Man kennt das: Der Kumpel der über Monate von derselben Verflossenen erzählt und irgendwann möchte man nur sagen: Komm drüber hinweg! So einfach ist es natürlich nicht, dennoch wirkt der Text zum Ende hin etwas aufgedunsen – wie das Cortisongegesicht des Erzählers. Das ist kein gravierendes Problem – Problemchen eher, das leider zu vielen Romanen heute zueigen ist. Heute graben ist – ohne den Text schmälern zu wollen – im eigenen Verlag hinter Blauensteiners Atemhaut nur die Nummer zwei. So gesehen gilt nicht nur Schlembach ein Kompliment für diesen Text, sondern vor allem auch Kremayr Scheriau, der hier zum Verlag des Frühjahr avanciert.

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Heute graben ist bei Kremayr Scheriau erschienen.

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