Der amerikanische Autor Dennis Cooper gilt als legitimer geistiger Erbe transgressiver Meister wie Marquis de Sade oder Jean Genet und erfreut sich einer treuen Gefolgschaft. Formal und inhaltlich kann man ihn ohne Übertreibung zu einem der mutigsten Schriftsteller der Gegenwart zählen. Geradezu schockierend ist aber, dass ein Großteil seines Werks bis vor Kurzem unübersetzt blieb. Bis der Wiener Luftschacht Verlag sich der Sache annahm. Zur Veröffentlichung von Die Schlampen habe ich mich mit dem Verleger Jürgen Lagger über das faszinierende Werk Coopers unterhalten.
Wie kamst du dazu, Coopers noch nicht übersetzte Romane im deutschsprachigen Raum zu verlegen?
Jürgen Lagger: Das war eigentlich ein Zufall, weil mir bei einer Suche (nach etwas anderem) in meinem Bücherregal die Titel, die damals beim Passagen Verlag herausgegeben wurden, wieder in die Hände kamen und ich reingeblättert habe (und zum Teil wieder gelesen), weil ich mich erinnerte, dass das damals wie eine Bombe bei mir eingeschlagen hatte. Sowas hatte ich noch nie gelesen. Das Gefühl hat man nicht oft. Und dann wollte ich einfach was Neues von Cooper bestellen, bzw. schauen, was es noch so gibt auf Deutsch. Es gab aber nichts. Gar nichts. Und das bei so einem gewichtigen Autor. Es hat dann noch eine gute Weile gedauert, bis klar war, wer die Rechte an seinen Texten verwaltet und als wir uns einig waren, mit welchen Titeln wir beginnen würden, gings los. Ich war, und bin, da zugegeben schon einigermaßen stolz darauf.
Das erste Mal Cooper zu lesen kann ja – je nach Leseerfahrung und Text – ein durchaus seismisches Erlebnis sein. Ich bin auf ihn gestoßen, weil er im Zusammenhang mit American Psycho erwähnt wurde – Frisk erschien ja im selben Jahr mit sehr unterschiedlicher Resonanz -, daher war mir durchaus klar, dass er ein „transgressiver“ Autor ist. Ich erinnere mich aber noch genau an den Moment, als ich Frisk das erste Mal aufgeschlagen habe (Anfang 20, im Auto, meine Mutter hatte mich grade von Bahnhof abgeholt) – etwas verstohlen, als hielte ich einen verbotenen Text in der Hand. Rückblickend muss ich sagen, dass es Neugier und ein intellektuelles Interesse waren, die mich durch Frisk gebracht haben – weniger Genuss. Erinnerst du dich an deinen ersten Cooper-Text?
Jürgen Lagger: Klar erinnere ich mich, und du beschreibst es gut, ich hatte genau dasselbe Gefühl, nämlich dass ich etwas Verbotenes mache. Und obwohl ich wohl ca. 10 Jahre älter war als du, war ich verwundert, verblüfft, erschrocken und begeistert, dass es solche Bücher überhaupt gibt. American Psycho ist im Vergleich ja fast Mainstream. Du nennst es seismisch, ich habs Bombe genannt, weil mich die Erschütterungen so unerwartet von außen erwischt hatten. Ich hatte meinen ersten Cooper (Wrong) in einer Wühlkiste entdeckt, war also völlig blank und konnte nirgends anknüpfen. Eigentlich kann ich es bis heute nicht. Und was für ein Glück, dass ich zu dem Buch gegriffen habe, obwohl der Umschlag eher nicht danach schreit. Aber dann habe ich den Textausschnitt auf der Rückseite gelesen, und es beginnt mit einer Szene, wo Gott das Dach vom Haus eines Mannes hebt und er sieht den Mann und sein Opfer, er sieht spitze Gegenstände und ist verwirrt, er sieht den Mann und einen blutigen Jungen, es wird beiläufig Liebe erwähnt, dann senkt er das Dach wieder auf das Haus. Ich war hingerissen.
Cooper ist ohne Frage ein faszinierender Autor. Seine Texte sind weder angenehm noch einfach zu lesen (das klingt erst einmal nicht nach einer Empfehlung, die man gerne ausspricht). Ich lese sie oft zu schnell – es sind ja meistens nur 100 Seiten – um festzustellen, dass ich höchstens die Hälfte verstanden habe. Es ist schwer, mit dem Finger auf das zu zeigen, was mich wieder und wieder zu seinen Büchern greifen ließ – wie ist das bei dir?
Jürgen Lagger: Ja, nach Empfehlung klingt das nicht. Und obwohl es irgendwie stimmt, kommt man, einmal eingetaucht, schwer von diesen Texten weg. Vielleicht ist es auch ganz gut, dass sie meist nicht allzu lang sind, vielleicht würde man das auf die lange Strecke auch nicht ertragen. Und schnell lesen funktioniert wohl auch nicht allzu gut. Coopers Texte sind so dermaßen komprimiert und verdichtet, dass man manchmal beim ersten Lesen an vielen Stellen meint, da fehlt etwas. Oder dass manche Sätze ins Leere führen; dass man nicht genau weiß, wer mit wem und über wen spricht. Bei den Übersetzungen würde man dann vielleicht auch denken, das ist schlecht übersetzt. Aber das stimmt natürlich alles nicht. Die Texte sind einfach dermaßen klug und komplex gebaut, dass man erst beim zweiten oder dritten Mal merkt, “ah, so hängt das zusammen” bzw. ist es eher ein „Oh mein Gott, SO hängt das zusammen!“. Und es steckt dermaßen viel Glück in diesen Erkenntnismomenten, plötzlich sieht man es ganz klar. Ich lese jetzt, bei den Büchern, die wir herausbringen, die Texte im Zuge des Lektorats natürlich mehrfach, und was soll ich sagen: was für ein Gewinn! Es ist also, um deine Frage noch zu beantworten, einerseits die Bauart der Texte, andererseits aber auch das Themenfeld, was mich immer wieder zu Coopers Büchern greifen lässt. Cooper ist ein großer Moralist.
Wahrscheinlich muss man als Moralist zwingend unmoralisch sein, sonst wird man zur Gouvernante.
Moralisten wird ja häufig vorgeworfen, unmoralisch zu sein. Auch das verbindet ihn mit Ellis. Wobei ich das bei Letzterem mehr sehe, als bei Cooper. Mein loser Faden ist definitiv der Text eines Moralisten. Obwohl der Roman absolut versunken in seinem verwirrten Protagonisten ist, erzählt er implizit viel über die Gesellschaft um ihn herum. Beim George Miles-Zyklus bin ich mir da nicht so sicher. Hier scheint ihn das Verlangen an sich – jenseits Fragen der Moral – zu interessieren. Für mich haben Texte wie Frisk oder Period etwas von einer Versuchsanordnung, in denen das Verhältnis zwischen Verlangen, Selbst und Tod ausgelotet wird. Die Schlampen (Orig.: The Sluts), das bei Luftschacht erstmals auf deutsch erscheint, ist für mich wiederum ein Text über die Dissipation von Identität, die Auslöschung von Authentizität im Bezug auf das Selbst im Internet. Was ich eigentlich fragen will: Woran erkennst du den Moralisten in seinen Texten?
Jürgen Lagger: Wahrscheinlich muss man als Moralist zwingend unmoralisch sein, sonst wird man zur Gouvernante. Cooper schreibt halt gegen alle Grenzen an, was ethisch und moralisch normalerweise so akzeptiert wird, das schreckt viele ab. Und es schreckt mehr ab, als die Texte von Ellis, der im Vergleich ja fast zimperlich wirkt. „American Psycho“ hat zwar auch Empörung ausgelöst, aber in Wirklichkeit unterscheidet es sich in seiner satirisch angehauchten Blutrünstigkeit wenig von irgendwelchen Splatter-Filmen, die man ja eher ungerührt konsumiert. Patrick Bateman kannten wir schon, der ist eigentlich Mainstream. Coopers Figuren sind viel gebrochener, unergründlicher, normaler, die kennen wir irgendwie auch, aber aus der Realität. Das macht sie so schwer erträglich. Bei Cooper scheint alles echt, Cooper ist von der Wahrheit besessen.
Patrick Batemans Sein scheint darauf ausgelegt zu sein, ein Image zu sein, also ist er nichts. Er ist ein 80er Jahre Reagan-Yuppie-Poster-Boy – großer Fan von Donald Trump – und die ganze Inauthentizität treibt ihn in den Wahnsinn. Seine Gewalt, real oder imaginiert, ist oberflächig. Er sucht nichts in diesen Körpern. Das ist sicher ein großer Unterschied zu Coopers Texten: Seine Gewalt ist kein Konsumieren, sie ist vielschichtiger. Und vielleicht suchen seine Figuren in eigentlich unaussprechlichen Handlungen, die dann doch schwarz auf weiß auf dem Papier stehen, nach einer Wahrheit, die trotzdem nicht greifbar ist. Das hat tatsächlich etwas Besessenes, wenn man etwas sucht, das – wenn man den französischen Poststrukturalisten folgt – stets flüchtig und instabil ist. Das gilt auch für die Figuren, die er erschafft. Die Schlampen ist vielleicht Coopers Roman, an dem man das mitunter am besten beobachten kann. Ich habe ihn als Text in Erinnerung, in dem der Wahrheit schlicht nicht beizukommen ist – was auch den großen Reiz ausmacht – als Leser wird man selbst zum Getriebenen, der herausfinden will, was wirklich geschieht. Was macht den Text für dich reizvoll?
Jürgen Lagger: Da hast du jetzt die Antwort schon ein bisschen selbst gegeben: Genau das macht eben den Reiz aus, dass man nicht weiß, woran man ist. Es werden Dinge behauptet, es wird widersprochen, es wird das Gegenteil behauptet, es legt immer noch jemand einen drauf. Es gibt eigentlich auch keine Realität, das alles spielt sich nur auf einer Dating-Seite im Internet ab, also nicht nur der Inhalt ist flüchtig, auch das Medium. Im Original ist der Roman ja 2004 erschienen, also bevor von Fake News die Rede war oder von Social Media. Lustigerweise ist es übrigens auch das Veröffentlichungsjahr von Facebook. Das find ich schon sehr bemerkenswert. Überhaupt, dass Cooper sich nicht nur mit der analogen, sondern auch mit der digitalen Wirklichkeit auseinandersetzt, auch in God Jr., spielt ja ein Gutteil der Handlung nicht mehr in der realen Welt, sondern in einem Computerspiel. Und auch dort ist es eine Suche nach Wahrheit und ein großes Nachdenken über den Tod.
Die Schlampen hat viel vorweggenommen, womit sich der Mainstream erst jetzt so richtig beschäftigt. Der Roman ist der der dritte Cooper-Titel, der bei Luftschacht erscheint. Wie zufrieden bist du mit der bisherigen Resonanz?
Jürgen Lagger: Ja, man gewinnt, wenn man sich mit Coopers Werk beschäftigt, immer mehr den Eindruck, dass er Dinge vorwegnimmt, auf die andere erst viel später kommen. Deswegen sind auch seine etwas älteren Titel noch hochaktuell und in ihrer – auch stilistischen – Kompromisslosigkeit dem Mainstream sowieso um Lichtjahre voraus.
Und deswegen darf ich auch noch gar nicht zufrieden mit der vor allem medialen Resonanz sein, da muss einfach noch mehr gehen. Bei Mein loser Faden war es schon viel besser als bei God Jr.. Cooper gehört aber in Wirklichkeit auch in jedem großen Feuilleton besprochen. Ich bin aber trotzdem dankbar für all die klugen Menschen, die sich bislang schon seiner Arbeit angenommen haben, da sind viele gute und wichtige Sachen geschrieben worden. Ich denke, die Fangemeinde wächst, das ist toll.
Du verlegst die drei Romane nicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens in der Originalsprache. Wie kam es dazu?
Jürgen Lagger: Ehrliche Antwort? Wir wollten es sanft angehen lassen, als wir mit God Jr. begonnen haben. Das ist vermutlich Coopers untypischstes, aber zugleich auch zugänglichstes Buch. Also stilistisch ist alles da, aber in der Grenzauslotung hat er sich da fast zurückgehalten. Mein loser Faden ist da schon ein anderes Kaliber und Die Schlampen ist, finde ich, nochmal eine Steigerung. Transgressive Literatur at its best. Wobei man anmerken muss, dass es Cooper nie um den Skandal um des Skandals Willen geht, er treibt die Dinge nur rücksichts- und kompromisslos voran. Womit wir wieder ein bisschen bei der Wahrheitssuche sind …
Das hatte ich vermutet. Und God, Jr. ist eigentlich auch der Roman, den ich einem Uneingeweihten empfehlen würde. Wobei ich mir heute nicht sicher bin, ob das der richtige Ansatz ist. Vielleicht sollte man Leser da lieber ins kalte Wasser schubsen.
Aber ich gebe dir recht: Der Roman ist nur vordergründig betrachtet untypisch für Cooper. Das, was ihn auch in seinen anderen Texten meiner Interpretation nach interessiert, ist auch in diesem angelegt. Ich schätze das hat God, Jr. auch zu einer Art Schlüsseltext in Bezug auf Coopers Gesamtwerk für mich gemacht. Dass seine anderen Texte in der Peripherie angesiedelt sind und in ihrer Darstellung von Sex und Gewalt keine Grenzen kennen, versperrt schnell den Blick dafür, dass es, wie ich finde, eigentlich um etwas sehr Universelles geht. In seinen Romanen sind Menschen davon besessen, einen anderen zu ergründen und dadurch zu einer Art Wahrheit zu gelangen. Doch ganz gleich, wie sich seine Protagonisten Zugang zu diesen anderen Personen verschaffen wollen, gelingt es nicht. In den George Miles Büchern ist es oft ein junger Mann, der begehrt und durch diese Begierde zerrieben wird und trotzdem ein Unbekannter bleibt. In God, Jr. sucht ein Vater eine Beziehung zu seinem verstorbenen Sohn, indem er dessen Videospielavatar annimmt. In Die Schlampen steht wieder ein junger Mann im Zentrum des Interesses jener Männer, die sich Online über ihn austauschen. Aber er bleibt genauso rätselhaft wie die Frage, wer (bzw. wie viele) in diesem Roman überhaupt erzählt. In Mein loser Faden treffen wir auf einen verwirrten Erzähler, der die Motive und Handlungen seiner Mitmenschen nicht durchblickt und sich im Grunde genommen selbst fremd ist. Identität konstruiert sich im Wechselspiel mit dem Anderen immer wieder neu. Das macht die Suche nach dem Wesenskern eines Anderen zur Sisyphosaufgabe. Aber das ist meine Interpretation. Was glaubst du macht diese Wahrheitssuche aus, wo du sie schon ins Spiel bringst?
Jürgen Lagger: Für mich ist diese Wahrheitssuche auch immer eine nach Gewissheit, nach Sicherheit. Und ja, sie bleibt erfolglos, weil sie vielleicht auch erfolglos bleiben muss. Nicht nur die Identität, auch die Wahrheit konstruiert sich immer neu, die Protagonisten müssen also scheitern. Nicht nur deren Umfeld entzieht sich einer endgültigen Deutung, auch sie selber verhalten sich widersprüchlich und arbeiten eigentlich auch gegen sich, ihre Methoden zur Wahrheitsfindung sind untauglich, chaotisch, destruktiv. Larry aus Mein loser Faden kann dieses Gewirr an Beziehungen und Aussagen und Ansprüchen nicht entwirren, man kann als Leser*in dabei zusehen, wie es ihn zerreißt. Das ist tragisch, und es ist besonders tragisch, weil man es kommen sieht und sich aber kein Ausweg auftut. Und Cooper lässt einen ja auch ganz alleine bei der Beobachtung, er liefert nie Erklärungen, er wirft es einfach so hin. Das ist schon brutal. Auf der anderen Seite sind das aber auch immer ganz zärtliche Bücher, das klingt jetzt paradox, aber da steckt sehr viel Liebe drin. Das merkt man spätestens immer am Ende, Cooper schreibt die berührendsten Schlüsse, die ich so kenne.
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