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Das Leben kann zum Fürchten sein: Hotel der Schlaflosen von Ralf Rothmann

Hotel der Schlaflosen“Fear is a man’s best friend”: Dieses John Cale Zitat stellt Ralf Rothmann seinem neuen Erzählband Hotel der Schlaflosen als Motto voran. Es sind elf Erzählungen, in denen Angst oft tief in den Protagonisten eingenistet ist. Ein evolutionsbiologischer Überlebensmechanismus als Freund, der uns durch dick und dünn begleitet: Da schwingt die Hoffnung mit, auch das Schlimmste zu überstehen. Tröstend ist das allerdings nicht.

Manche dieser elf Geschichten können dem Leser durchaus das Fürchten lehren. Die Titelgeschichte, als einzige nimmt sie auf historische Ereignisse bezug, zeigt doch am deutlichsten, dass der Mensch vor allem vor einem die meiste Angst haben muss: Anderen Menschen.

Alle wussten es, aber keiner wollte es glauben; so sind die Menschen (23).

Das titelgebende Hotel der Schlaflosen ist hier eine Folteranstalt, in der sich die stalinistischen Säuberungen vollziehen. Einer ihrer grausamsten Vollstrecker, Wassili Blochin, unterhält sich hier mit dem Schriftsteller Isaak Babel kurz bevor er diesen erschießt. Es zeigt sich, dass die Angst nicht nur im Opfer wohnt, sondern auch im Täter, der selbst nicht Opfer werden will.

In “Geronimo” wird Angst zu einem verbindenden Element zwischen einem miteinander fremdelnden Vater-Sohn-Gespann, als beide von einem Verwirrten auf offener Straße bedroht werden. Dass das Fehlen von Angst eine internationale Krise beschwören kann, zeigt sich in “Das Sternbild der Idioten”, als ein paar Filmkomparsen sich am Berliner Grenzstreifen einen Schabernack erlauben.

“Auch das geht vorbei” bringt es schon im Titel etwas resignatorisch auf den Punkt: Die Hoffnung auf ein Danach wird zum Fluchtpunkt, wenn die Angst zwischenzeitlich zum Alltag wird. In dieser Erzählung fürchtet eine Tochter die physische und psychische Gewalt (“Du Scheißfotze von einer Tochter” (62) der Mutter. Aber geht das wirklich einfach vorbei? Zumindest nicht ohne Spuren, denn die einst Gepeinigte reagiert später Wutausbrüche an ihrem Kater ab. Macht uns der Schmerz, den man erlitten hat, unempfindlich für die Schmerzen, die man anderen zufügt?, fragt der Text.

Die Angst in verschiedenen Facetten, mal vordergründig, mal hintergründig schimmert sie durch diese variantenreichen Texte. Sie ist ja eh immer bei uns, wenn wir dem vorangestellten Motto glauben. Rothmann erzählt von der Angst, nicht genug zu sein, der Angst, verletzt zu werden, und der Angst, zu sterben. Er nimmt uns dabei mit in unterschiedlichste Milieus – vom Bau über die Wüste Mexikos ins geteilte Berlin, zu einem Pferdehof in der Uckermark oder in ein Bestattungsinstitut im Ruhrpott. Dabei schmiegt sich die Sprache ein in die Umgebung der Erzähler, bildet ohne zu werten deren Lebenswelten ab. Er lässt uns mit diesen Menschen und ihren Schicksalen allen. Hotel der Schlaflosen ist entsprechend kein “alles wird gut, das geht vorbei”-Buch. Das ist eher: So ist das Leben.

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Hotel der Schlaflosen ist bei Suhrkamp erschienen. 

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