Die Unmöglichkeit, sich selbst zu kennen: Ein etwa fünfzigjähriger Mann wird eines Abends von Unbekannten niedergeschlagen und findet sich sprach- und bewegungslos in einem Krankenhausbett wieder. Die Ärzte bescheinigen ihm: Alles ist in Ordnung. Physische Probleme sind es also nicht, die ihn in Schockstarre haben fallen lassen. Es ist eine Erinnerung an die Jugend, die der Überfall in ihm aufbricht und eine Identitätskrise auslöst: Eine große Verunsicherung ergreift Paul: “Ich wurde nicht, was ich hätte sein können” (50).
„Das schönste Pastell, das man je gesehen hat.“ Das Schokoladenmädchen im Zwinger
„Das schönste Pastell, das man je gesehen hat“ – so warb man zur Zeit seiner Entstehung wie auch heute noch für Jean-Étienne Liotards Schokoladenmädchen – sicher nach Raffaels Sixtinischer Madonna eines der bekanntesten Gemälde im Bestand der Alten Meister. Aktuell haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden dem um 1744 in Wien entstandenen Werk eine ganze Sonderausstellung im Zwinger gewidmet.Vom Ende bis zum Anfang von map.ache
Ein Baby schmiegt sich an den Rücken seines Vaters. Ein Bild der Geborgenheit, festgehalten als Schwarzweißfotografie, über die grüne Sprinkler wie die Oxidationsflecken einer inzwischen rostigen Schaukel wuchern. Das Cover von map.aches neuem Album zeigt es an: In Vom Ende bis zum Anfang bringt er in atmosphärischen Elektronika und gediegenem House die Erinnerung an die Kindheit nostalgisch zum Klingen. Es ist ein angenehmer, heller Sound, der von eingestreuten Dissonanzen spannend gehalten wird.Berauschtes Racheepos: Mandy
Nicolas Cage ist einer der Schauspieler, die für mich als echtes Kassengift gelten: Kann ich mir nicht anschauen, dieses stets von irrem Blick begleitete overacting. Nun aber: Mandy, ein Horrorfilm im frühe 80er-Look, der schon jetzt als neuer Kultfilm gefeiert wird und mit fast perfektem Rating bei Rotten Tomatoes glänzt. Der Hype ist nicht ungerechtfertigt: Mandy ist Bild gewordener Stoner Rock/Doom Metal, eine deliröse, bildgewaltige Rachefantasie wie geschaffen für die große Leinwand. Die vibrierende Seele der Welt: Anima Mundi von Vril
Anima mundi ist lateinisch und bedeutet “Weltseele”. Dahinter verbirgt sich ein naturphilosophisches Konzept, nach dem der Mensch analog dem Universum in seiner Gesamtheit strukturiert ist. Das Kleine spiegelt sich im Großen, die Natur erscheint als ein Organismus, ergriffen von einer “alles bewegenden Seele”. Und diese bringt der Hannoveraner Produzent und DJ Vril in seinem vierten Album (eins davon unter dem Pseudonym Zum Goldenen Schwarm) wabernd zum Klingen.Gewalt & Geschlecht im Militärhistorischen Museum Dresden
Die Sonderausstellung Gewalt & Geschlecht hat dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden eine handfeste (und hausgemachte) Krise beschert. Lange Zeit war es fraglich, ob man die für 2017 geplante Ausstellung überhaupt sehen wird können. Und das, obwohl sie mit Kosten von drei Millionen Euro das komplette Jahresbudget des Militärhistorischen Museums sprengte. Es waren aber wohl nicht nur finanzielle Probleme, die zur Verzögerung führten: Auch inhaltliche Kontroversen um einige Exponate waren im Spiel – die F.A.Z. schrieb zum Beispiel vom “Kleinkrieg um Kondome auf Raketen”.Weihnachten im Panzer: Aurora von Sascha Reh
Sascha Reh legt mit Aurora ein schwungvolles Update der Weihnachtsgeschichte vor: Der Reporter Ole reist von Kopenhagen nach Bornholm mit dem Auftrag, über einen starken Schneesturm zu berichten. Es ist ein eher bescheidener Auftrag, der signalisiert, dass seine Karriere aufs Abstellgleis zu geraten droht. Doch dann findet er sich unverhofft in einem Abenteuer wieder: Denn plötzlich taucht Eric in einem Panzer auf, mit dem er auf dem Weg zu einer schwangeren Frau ist. Als sie unterwegs die Hebamme Tamara einsammeln, entwickelt sich sein langweiliger Auftrag zu einem rasanten Kammerspiel, das die Weihnachtsgeschichte im Kontext aktueller Debatten um Geschlecht neu erzählt.Verortung: Flüchtiges Zuhause von Rolf Hermann
Die Kindheit ist gefangen in der Zeit. Wenn sie vergeht, nimmt sie sie mit und es bleiben Erinnerungen, in die der Geist immer wieder hinaubzutauchen versucht. Der Schweizer Rolf Hermann hat diese Erinnerungen in eine bildhafte, warme und poetische Sprache gekleidet, die das innere Auge des Lesers in das von Gipfeln gesäumte Tal seiner Kindheits- und Jugendjahre führt.Absolut angenehme Schwingungen: Heat von Shinichi Atobe
Nachdem das Produzenten-Duo Demdike Stare den öffentlichkeitsscheuen Japaner Shinichi Atobe 2014 dreizehn Jahre nach seiner ersten und bis dahin einzigen Veröffentlichung zu einer Renaissance verhalfen, gibt es jedes Jahr etwas Neues zu hören. Er scheint aus einem reichhaltigen Fundus an Ideen zu schöpfen. Heat erscheint ein Jahr nach From the Heart, It’s a Start, a Work of Art und ist das von Start bis Ende rundeste und durchweg tanzbarste Album seiner schon jetzt eindrucksvollen Diskografie.Überhitzung: Kampfsterne von Alexa Hennig von Lange
Was das Lesen angeht, war Alexa Hennig von Lange so etwas wie meine erste Liebe. Ihr Debütroman Relax (1997) war einige Wochen das Gespräch auf dem Pausenhof, weil er die gängigen Vorstellungen von Literatur, die man als Jugendlicher durch den Deutschunterricht so hat, sprengte: Ein aufregendes Wochenende in Berlins Technoszene, erzählt in rasend schneller, rotziger Sprache, endlos unterhaltsam, witzig und verblüffend. Jetzt, beinah zwanzig Jahre später, ein Wiedersehen: Im August erschien Hennig von Langes neuer Roman Kampfsterne bei Dumont.