René Freunds Das Vierzehn-Tage Date ist der erste Corona-Roman, der mir zwischen die Finger kam – und da Freunds Texte eher auf sonnigen Seite geschrieben sind -, mit der Erwartung an eine Lektüre, die der ganzen Misere etwas Heiterkeit schenkt. Und man wird nicht enttäuscht: Das Vierzehn-Tage Date ist nicht der große Pandemie-Text, sondern ein vergnüglicher Lese-Nachmittag, der aus dem Lockdown eine kleine Sitcom macht.
Das komatöse Land: Der ehemalige Sohn von Sasha Filipenko
Wir schreiben das Jahr 1999: Zisk ist ein ganz normaler Jugendlicher, der weniger Lust hat, Cello fürs Konservatorium zu lernen als mit seinen Freunden Fußball zu spielen und zu Konzerten zu gehen. Aber er wächst in einem nicht ganz normalen Land auf. Sasha Filipenkos Roman Der ehemalige Sohn nimmt uns mit in die belarussische Hauptstadt Minsk und zeichnet ein graues Bild eines totalitären Staates, in dem sich wenig bewegt. Man kann sogar zehn Jahre ins Koma fallen, ohne etwas zu verpassen.
Das letzte Hurra der Beats: Little Boy von Lawrence Ferlinghetti
Lawrence Ferlinghetti starb im Februar im Alter von 101 Jahren als letzter Vertreter der Beat Generation. Wenngleich er zumindest hierzulande nie die Bekanntheit von Ginsberg, Kerouac und Burroughs erreichte, ist er einer ihrer wichtigsten Figuren. Schließlich war der von ihm gegründete Buchladen City Lights Bookstore in San Francisco der Sammelpunkt der literarischen Avantgarde der 1950er Jahre. Der angeschlossene Verlag war es auch, der Ginsbergs legendäres Gedicht Howl verlegte. Ferlinghetti war selbst Dichter, sein zweiter Band A Coney Island of the Mind gilt als meistverkaufter Lyrikband aller Zeiten. Little Boy ist sein letztes Werk, ein autobiografischer Roman, der diese Bezeichnung aber schon nach wenigen Seiten sprengt.
Ich bin da mal raus: Ideen gegen den Optimierungswahn von Andrea Gerk mit Illustrationen von Moni Port
Ich bin da mal raus: Ideen gegen den Optimierungswahn von Andrea Gerk mit Illustrationen von Moni Port ist kein auf wissenschaftlicher Recherche basierende, ernsthafter Ratgeber – das würde der eigentlichen Prämisse ja irgendwie schon widersprechen – sondern eher ein kleines Geschenkbüchlein für arg gehetzte Freunde, die zu viel am Smartphone kleben.
“Ich denke, also bin ich traurig”: I Hate You, Please Read Me von Joshua Dalton
Joshua Dalton ist ein junger Autor aus Texas, der am borderline personality disorder leidet. Die psychische Erkrankung vereint diese teils autofiktionalen Texte seiner ersten Sammlung I Hate You, Please Read Me, die – der ironische Titel zeigt es an – trotz aller Melancholie wirklich witzig ist. Sie zeigt auch, dass das Internet kein “Ort” für psychische Gesundheit ist.
Zitternd schöner Zauber der ersten Male: Der große Sommer von Ewald Arenz
Noch so ein Sommer für die Ewigkeit: Benedict Wells Hard Land entführte uns bereits in einen prägenden Sommer, nun nimmt uns Ewald Arenz’ Der große Sommer mit ins Jahr 1981. Auch in dieser Coming of Age Geschichte macht der jugendliche Friedrich Erfahrungen, die ihn aus der Kindheit ins Erwachsenenleben führen.
Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht von Gavin Francis
Die Sehnsucht nach Inseln hat sich in der gegenwärtigen Situation nur verstärkt. Eine Woche Mallorca, das muss scheinbar sein, selbst wenn schon der Naherholungsurlaub problematisch erscheint. In der F.A.Z. war neulich zu lesen, dass die Nachfrage nach eigenen Inseln unter den Superreichen im letzten Jahr stark gestiegen sei. Gavin Francis, seines Zeichens praktizierender Arzt und insula-phil, schrieb Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht bereits 2019, doch das Thema Isolation, das bei Inseln immer mitschwingt, ist, wie Francis im Vorwort feststellt, drängender als zuvor.
Entzaubert sein, klarkommen: Memorial von Bryan Washington
Bryan Washingtons Debütroman Memorial (deutsch: Dinge, an die wir nicht glauben) löst das große Versprechen seines Erzählbands Lot ein und macht noch einen großen Schritt nach vorn. Lakonisch, vulgär und unheimlich intim erzählt Washington von Benson und Mike, deren Beziehung nach vier Jahren ihrem Endpunkt zuzulaufen scheint sowie den chaotischen, längst zerfallenen Familien der beiden Männer. Berührend, komisch, vielschichtig – Memorial ist ein Triumph.
Ein Sommer für die Ewigkeit: Hard Land von Benedict Wells
Grady, Missori, 1985: Der 15-jährige Sam hat es nicht leicht. Er hat keine Freunde und seine engste Verbündete ist sterbenskrank. Benedict Wells neuer Roman Hard Land ist eine Ode an die Jugend und eine Hommage and die Texte, die sich ihrer widmen. Ein schöner Text über einen aufregenden Sommer, über den Aufbruch eines Jungen, der sich aufmacht, ein Mann zu werden.
Berlin im Rausch: Die Linie zwischen Tag und Nacht von Roland Schimmelpfennig
“Alle waren hellwach und gleichzeitig todmüde”: Tommy feiert zusammen mit ein paar Partybekanntschaften am 1. Mai in Berlin. Man ist ausgelassen, seit Tagen unterwegs, voller Drogen. Da sieht er im Landwehrkanal eine junge Frau in einem Hochzeitskleid treiben. Sie ist tot. Roland Schimmelpfennigs Die Linie zwischen Tag und Nacht nimmt den Leser mit in den Berliner Partyuntergrund, zu Rausch und Ruin, Ravern und Dealern.