Von relativer Obskurität zu ungeahnter Produktivität: Als das Produzentenduo Demdike Stare 2014 Archivmaterial des japanischen Produzenten veröffentlichte, hatte der seit seiner ersten EP für die Dub Techno Legende Chain Reaction nichts veröffentlicht. Seitdem kommt jedes Jahr eine neue Veröffentlichung. Die neue LP Love of Plastic kommt in kristallblauem “Ocean Blue” daher – eine ironische Wahl ob des Titels – und klingt entsprechend: Beschwingt, unaufdringlich, tanzbar und im Gegensatz zum früheren Archivmaterial klar und frisch.
Deep House trifft Minimal und Dub Techno, zusammengerührt mit oft hell durchstechenden Synthiemelodien und beseelt von einem angenehmen Knistern oder mechanischem Knarzen: So könnte man den Shinichi Atobe Sound beschreiben und Love of Plastic präsentiert ihn in Bestform. Die teils matschige Klangqualitätwurde in klare Gewässer geführt und das Album an sich kommt vom ersten bis letzten Track in neuer Stimmigkeit daher. Der Einstieg gelingt mit dem “Intro”: Schwummerigen Pads schälen sich aus den Boxen, als würde man in der Nachmittagssonne in einen angenehmen Traum hinabgleiten, die pulsierende Dub-Techno-Bassline hat kaum Zeit sich einzurichten, sie wird wenige Sekunden, nachdem sie sich angekündigt hat, mit dem gesamten Track ausgefadet. Wie helle Sonnenreflexionen auf dem Meer funkelt dem Hörer im folgenden “Love of Plastic 1” beinah gleißend hell eine Synthmeldoie entgegen. Der Übergang vom Intro wirkt als würde jemand einen Vorhang zurückziehen und die Sonne in den Tag lassen. Ein runder Bass bringt Rhythmus, Hi-Hats rascheln sich ein, die Kickdrum ein mechanisches Geräusch. Die Tonlage der führenden Melodie wird variiert, hält den Track ebenso dynamisch wie eine zweite, etwas dudelige Melodie, die sich einschleicht, wie eine Bridge, auf die als Chorus eine weitere, an die 90er erinnernde, aus Pianoakkorden bestehende Melodie als Chorus folgt. Hier ist also einiges los, um den Hörer über die sechminütige Spieldauer bei Laune zu halten.
Die Euphorie wird auf der ersten B-Seite “Love of Plastic 5” wieder gedämpft. Seidige Streicher empfangen den Hörer auf einer unaufdringlichen Bassline. Etwas Hibbeligkeit bleibt, kleine Sounds surren durch den Track wie Insekten auf einer Wiese im Mai. Es ist mit neun Minuten der längste Track, nach und nach fließen weitere Elemente ein, wie eine hell flackernde Melodie, die über die Dauer des Tracks verschiedene Stadien der Verfremdung durchmacht. Das geht angenehm ins Ohr und schnell wird klar, dass Love of Plastic kompositorisch sowohl zu den komplexeren wie auch zu den eingängeren Arbeiten des Künstlers zählt, auch wenn die Sequenzierung nicht genau ins Ziel trifft und dieser mit Dub Techno flirtende Deep House sich besser an das schwummrige “Intro” geschmiegt hätte. Dennoch wirkt die Doppel-LP in sich geschlossener, vorbei scheinen die Zeiten skizzenhafter Soundexperimente, die zuweilen sperrig wirkten. Dennoch holt einen das folgende “Love of Plastic 8” aus der angenehm tänzerisch-verträumten Atmosphäre wieder raus, als eine hibbelig-elektrische Melodie auf einer hinterherhetzenden Bassdrum Schabernack treibt.
C1 schunkelt sich mit “Beyond The Pale” wieder gemächlicher in die Ohren, ein für den Produzenten ungewöhnlich vollmundig groovender Bass brummt unter träumend-flatternden Sounds. Wie bei den vorherigen Seiten geht es mit dem nächsten Track “Loop 6” wieder flotter zu Sache: Hier trägt der Synthesizer eine Melodie aus einem nie veröffentlichten Tropicana Level bei Nintendo Mario Kart. Trotz dieses auch im weiteren Verlauf wiederkehrenden Wechsels zwischen eher zurückgelehnten und aufgeregten Tracks, ist Love of Plastic das konstanteste Hörerlebnis, das Shinichi Atobe seinen Hörern bisher geschenkt hat, was an der positiven, Dopamin-durchsättigten Grundstimmung der insgesamt neun Tracks ebenso festzumachen ist wie am Ausbleiben völlig aus der Reihe scherender Experimente. In diesem dritten Corona-Winter bringt uns der Japaner also die volle Dosis Vitamin D.
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