Nincshof, eine “handvoll Häuser, zusammengerottet am Ende von Österreich”, möchte am liebsten von der weiten Welt vergessen werden: Keine Fahrradtouristen, keine Neuzugezogenen sollen mehr den Weg finden, damit die Nincshofer unter sich bleiben können – so wie es früher schon war. Johanna Sebauers Roman ist eine urkomische Satire über Heimat, Sichtbarkeit, Tradition und Wandel im Angesicht einer immer bedrohlicher empfundenen Welt.
Im Burgenland, kurz vor der ungarischen Grenze, ist Nincshof. Hier lernt der Leser zuerst Erna kennen, eine fast 80-jährige Witwe, die ein Abenteuer wagt: Denn eine der Nachbarinnen hat einen großen Pool, zu dem die anderen Damen des Dorfes eingeladen sind, nur Erna nicht. Also schleicht sie sich nach Mitternacht heimlich dorthin. Geheimnisse haben in Nincshof allerdings selten lange Bestand – es ist eine kleine Gemeinschaft mehr oder minder schrulliger Bewohner. Und so gibt es dann nicht nur Stunk mit den Nachbarn, sondern unverhofft verbündete: Denn um den Bürgermeister hat sich eine kleine Gruppe “Oblivisten” gebildet. Ihr erklärtes Ziel: Nincshof soll vergessen werden, so wie es einst war, bis man den Sumpf, in dem das Dorf von meterhohem Schilf vor der Welt verborgen war, trocken legte.
Mit diesem Plan kollidiert der Zuzug eines exzentrischen Pärchens aus Wien. Die Dokumentarfilmerin Isa und ihr Mann drohen dem Ort das zu bringen, was der Geheimbund unbedingt verhindern will: Aufmerksamkeit. Denn der Mann unterhält aufwendig gezüchtete, hässlich-stinkende Irrziegen und die Dokumentarfilmerin, die eigentlich nicht mehr filmen will, stellt fasziniert ob des seltsamen Dorfes verdächtig viele Fragen.
Es kommt, wie es kommen soll: Es entspinnt sich eine irrwitzige Posse, in der es letztlich darum geht, den Platz im Leben zu finden und ihn für sich zu erhalten. Sichtbarkeit ist offenbar das Thema der Stunde. So fing Zeiten der Langeweile von Jennifer Becker den Rückzug aus der digitalen Welt in sich selbst bis zur scheinbaren Auslöschung ein. Johanna Sebauers Projekt befasst sich weniger mit dem Individuum, eher einer ganzen Gemeinschaft, die digital wie analog unsichtbar werden und so die Freiheit finden möchte.
Dieser amüsante Kampf ums Vergessenwerden ist eine Erzählung über Erinnerung und wandelbare Wahrheiten, die Flucht in die Tradition und die Angst vor dem Wandel. Und während Leser ob der wunderbar makelhaft gezeichneten Hauptfiguren Erna und Isa zwischen Sympathie und Abneigung gegenüber den Oblivisten mitfiebert, drängt auch die Frage, ob die Aufmerksamkeitsökonomie, in der wir leben, nicht ganz schön einengend ist.
*
Nincshof ist bei Dumont erschienen.
Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.