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Eine seltsame Frucht: Die Bäume von Percival Everett

Eine seltsame Frucht: Die Bäume von Percival EverettEin 400 Jahre währender Krieg: Dass das Thema Rassismus mit dem Ende der Sklaverei und später dem Ende der Segregation noch lange nicht beendet ist, zeigen die beständigen Berichte über tödliche Polizeigewalt gegen Schwarze. Percival Everett, der erst letztes Jahr ein berührendes Buch über einen Vater und seine sterbende Tochter schrieb (Erschütterung), folgt nun die satirische Kriminalgeschichte Die Bäume über seltsame Morde in Mississippi. Es ist eine komische wie erschütternde Tour de Force durch ein Amerika, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

Vererbter Rassismus, vererbte Schuld: Die alte Granny C ist von einem schlechten Gewissen geplagt, weil sie zu Zeiten der Rassentrennung in den USA einst einen schwarzen Jungen beschuldigte, sie angesprochen zu haben. Ihr Daddy und Kumpanen lynchten den Mann später. Schlau geworden ist ihre Familie aus der ganzen Sache nie. Weder gab es eine ernstgemeinte Verfolgung der Tat, noch ist die Einsicht in die nächste Generation gesickert. Denn die Nachkommenschaft besteht aus Rednecks, wie sie im Buch stehen. Ungebildet, abgehängt, festgefahren, rassistisch.

Doch die Vergangenheit kommt zurück, rächt sich: Denn plötzlich wird ihr Sohn brutal zugerichtet tot aufgefunden. Neben seiner Leiche liegt noch die eines Afroamerikaners. Und der hält die abgetrennten Hoden des Weißen in der Hand. Haben sich die beiden Männer gegenseitig umgebracht? Was war vorgefallen?

“Herr Bürgermeister, wir sind hier im souveränen Staat Mississippi. Da gibt’s keine Strafverfolgungsbehörde, da gibt’s bloß Rednecks wie mich, die von Rednecks wie dir bezahlt werden” (36).

Die Provinzpolizisten sind, wie sich später wenig überraschend herausstellt, Mitglieder des Clans und empfinden entsprechend wenig Empathie für den dunkelhäutigen Toten. Für den Weißen hatten sie aber auch nicht so viel übrig. Und ohnehin sind sie eh ziemlich inkompetent und nicht wirklich aufgrund ihrer Qualifikationen oder ihres Gerechtigkeitssinns in ihren Jobs gelandet. Nun geschieht etwas kurioses: Die Leiche des Schwarzen verschwindet aus der Gerichtsmedizin und taucht an einem neuen Tatort auf – wieder mit den abgetrennten Hoden des Weißen in der Hand, der tot neben ihm liegt. Und wieder gibt es eine Verbindung zu Granny C.

Der kuriose Fall des wiederauferstandenen, tot-toten schwarzen Mannes ruft alsbald die staatliche Ermittlungsbehörde auf den Plan. Die zwei schwarzen Detectives sind aber auch etwas überfordert mit den rätselhaften Vorgängen, sodass später auch noch eine Ermittlerin des FBI dazustößt. Zwischenzeitlich wurde Granny C ebenfalls tot aufgefunden. Neben ihr, natürlich, wieder die zum zweiten Mal verschwundene Leiche des Toten, der übriges verblüffende Ähnlichkeit mit jenem Mann hat, der ihretwegen gelyncht wurde.

Das Personal sowie der geografische Rahmen vergrößern sich: Ähnliche Fälle häufen sich auch an anderen Orten – und immer sind die Opfer weiße Männer mit zweifelhaftem Hintergrund. Droht nun doch der Rassenkrieg? Die Bäume ist ein satirischer Roman, der die zahllosen, durch Lynchjustiz Gestorbenen unvergessen machen will und eindringlich zeigt, welche Früchte der totgeglaubte Baum der Sklaverei noch heute trägt. So trist dieses Thema ist, so unterhaltsam gerät dieser Text. Dümmliche Rednecks treffen hier auf lakonisch witzelnde, afroamerikanische Detectives, treffen auf die über hundertjährige Voodoo-Hexe Mamma Z und ein gespenstische Rätsel, das vielleicht eine große Verschwörung ist.

Die Bäume ist ein komplett anderes Buch von Percival Everett als es Erschütterung im letzten Jahr war. Es ist nicht weniger gut: Die Bäume ist eine unterhaltsam-erschütternde Grotesque für mehr Gerechtigkeit.

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Die Bäume ist bei Hanser erschienen.

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