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Individualität, Gemeinwohl: Felix von Holger Brüns

„Felix“ von Holger BrünsTom ist Anfang 20 und Teil der links-alternative Szene der Studentenstadt Göttingen Mitte der 1980er Jahre. Er läuft bei Demonstrationen mit, beteiligt sich an Podiumsdiskussionen, macht seinen Zivildienst an der Uniklinik und hängt in der Disko ab. Er hegt den Wunsch, Schauspieler zu werden. Er ist Idealist, lehnt kapitalistisches Besitzdenken ab. Doch wie verhält es sich, als die Liebe von ihm Besitz ergreift? In Felix erzählt Holger Brüns von der alternativen BRD und dem schwierigen Balanceakt zwischen individueller Entfaltung und dem Wunsch, ein Teil von etwas Ganzem zu sein.

Autonomie und Kollektivität sind unsere Maxime. Gemeinsamkeit und Unabhängigkeit, den Ausgleich zwischen widerstreitenden Bedürfnissen zu suchen und zu leben, das ist unser täglich bemühen. Manchmal tut es weh (63).

Tom ist im doppelten Sinn nicht angepasst. Er kann mit den Werten der CDU-BRD wenig anfangen und er ist schwul. Seine Homosexualität ist in der Szene aus Autonomen und Hausbesetzern aber praktisch kein Thema. Insofern spielt Toms Verhältnis zu seiner Sexualität in Felix keine Rolle – wohl aber seine Beziehung zu dem Mann, nach dem Holger Brüns Roman benannt ist. Felix bewegt sich wie Tom in der links-alternativen Szene. Sie arbeiten sogar im selben Haus – Felix ist Medizinstudent und wenige Jahre älter. Es ist ein kompliziertes Verhältnis: Denn eigentlich ist Felix mit Katja zusammen. Und eigentlich hat Felix auch nicht mehr lang zu leben: Er ist HIV positiv.

Und es kann doch nicht richtig sein, dass ich es besser finde, den Mann, den ich liebe, nicht zu sehen, nur weil ich ihn nicht mit Haut und Haaren für mich haben kann. Das ist kapitalistisches Besitzdenken, keine Liebe (51).

Eine Liebe unter schwierigen Voraussetzungen, eingebettet in einen Lebensentwurf, der sich von bürgerlichen Vorstellungen von Paarbeziehung abgrenzt- und dennoch nicht frei von ihnen ist. Natürlich ist Tom eifersüchtig auf Katja. Und als Felix ganz klassisch mit Tom in eine 2-Raum-Wohnung ziehen will, traut er zwar dem kommunalen WG-Leben nach, doch lässt er sich darauf ein. Das Leben zieht an verschiedenen Seiten, die schwer vereinbar sind: Die Paarbeziehung geht auf Kosten der kommunalen Idee. Die individuelle Selbstverwirklichung, droht an der Paarbeziehung zu scheitern. Um Schauspiel zu studieren, muss er Göttingen und gewissermaßen Felix zurücklassen.

Felix ist also ein Coming-of-Age Roman und ein Stück westdeutscher Zeitgeschichte. Tom muss lernen, dass die eigenen Ideale, so holt sie auch sein möchten, schwierig werden, wenn sie verhandelt werden müssen. Erwachsen werden bedeutet eben auch, entzaubert zu werden. Und die Entzauberung, die Holger Brüns auf den letzten Seiten in Form einer überraschenden Wendung seinem Helden zumutet, ist wahrlich nicht ohne. All das erzählt Brüns in schnörkelloser Sprache in einem schlanken Buch, das an der einen oder anderen Stelle durchaus etwas mehr Fett vertragen hätte. Dass Felix Tom und somit dem Leser ein Enigma bleibt, ist stimmig. Doch hätte er dem Dreiecks-Verhältnis, zu dem eben auch Katja gehört, etwas mehr Raum geben können. Zwischenzeitlich macht es den Eindruck, als wäre sie nicht Teil der Gleichung. Dies ist jedoch nur ein kleiner Abstrich in einem insgesamt gelungenen Text.

Anmerkung: Felix ist ein Begleittext zu Brüns’ Sommernovelle Vierzehn Tage.

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Felix ist beim Albino Verlag erschienen.

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