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Die 3 Bücher des Jahres 2022

Die 3 Bücher des Jahres 2022Sobald die ersten Blätter von den Bäumen regnen, denke ich an die Bücher, die mich in diesem Jahr begeistern konnten. Gefühlt wird es Jahr zu Jahr schwieriger, mich mit mir selbst einig zu werden. Schon bevor in diesem Jahr überhaupt neue Blätter an den Bäumen sprießten, hätte ich schon drei Bücher gehabt. Und während ich das Jahr literarisch Revue passieren lasse und mich durch diese Seite klicke, sind da plötzlich sechs Tabs mit Titeln offen, die ich guten Gewissens hier aufführen könnte…

Aktualität, Form und Unterhaltungsfaktor sind die drei Kriterien, die mich in der Regel durch diese selbstgewählte Aufgabe leiten. Und dieses Vorgehen brachte tatsächlich die folgende, mich selbst überraschende Auflistung, in der mein eigentliches Lieblingsbuch des Jahres den Sprung doch knapp verpasste (siehe Shortlist unten).

Ohne weitere Vorrede zum Eingemachten:

Harrow von Joy Williams

Harrow von Joy WilliamsWas könnte aktueller sein als eine Dystopie, in der ein verwaistes Mädchen durch eine zugrunde gerichtete Landschaft irrt, es aber niemanden so wirklich zu stören scheint – außer einer Handvoll dem Tod nahen Menschen mit Kamikaze-Herzen, die sich als Terroristen versuchen? Harrow ist eine Odyssee voller Wunderlichkeiten und Widerspensitkeiten. Wir treffen auf Greise, deren terroristische Akte letztlich vergebens sind in einer Welt, in dem die Menschen den herbeikonsumierten Niedergang der Natur als Zeichen ihrer Überlegenheit verstehen. Etwas widerspenstig sind nicht nur die Menschen in diesem Roman, auch der Text selbst: Joy Williams würzt ihn mit ihrem ganz eigenen, abseitigen Humor und lässt Genre-Grenzen schmelzen ebenso wie jedes Gefühl für Temporalität – ein post-geschichtliches Zeitalter, in dem nichts wiedergutzumachen scheint und nur die Beschäftigung mit sich selbst bleibt.

Zur vollständigen Rezension.

Die Jagd von Sasha Filipenko

Die JagdDie Jagd von Sasha Filipenko ist eine Satire mit Anleihen eines Thrillers und thematisch am Puls, nein, in der Wunde, der Zeit. Der belarussische Schriftsteller entlarvt die innere Ödnis russischen Gebarens, in der Vaterlandsliebe, Hörigkeit und Anti-Amerikanismus von dekadenten Oligarchen propagiert werden, die nichts lieber tun, als sich in Südfrankreich gütlich zu tun. Hauptfigur der Erzählung ist ein Journalist, der diese Widersprüche und die inhärente Korruption aufdecken möchte und damit sich und seine junge Familie in größte Gefahr bringt. Es entsteht ein Russlandportrait, in der Gewissenlosigkeit und Gewaltbereitschaft der Schlüssel zum Erfolg sind und stilles Erdulden der Ungerechtigkeit der Weg des Überlebens ist. Die Jagd liest sich entsprechend unheimlich. Doch die triste Realität, die dieser Text fiktional spiegelt, mündet nicht in einem tristen Leseerlebnis: Der Roman ist ein page turner voller Humor, der immer wieder in die Magengrube boxt.

Zur Rezension.

Atemhaut von Iris Blauensteiner

Atemhaut von Iris BlauensteinerIris Blauensteiners Atemhaut erzählt von der Entfremdung in der Arbeitswelt und dem Druck der Selbstoptimierung, den sie auf das Subjekt ausübt. Die Autorin übersetzt dies in formell ansprechender Form, indem sie ihren Protagonisten gewissermaßen de-personalisiert: Hier erzählt kein Ich, sondern ein Ich in der zweiten Person. Atemhaut ist ein gelungener Roman, der mit mechanisch-dröhnendem Soundtrack Inhalt und Form auf den Punkt bringt.

Zur Rezension.

 

Shortlist:

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