Allgemein,  Kritik,  Literatur

Die Gags, die das Leben schreibt: Just by Looking at Him von Ryan O’Connell

Just by Looking at HimElliot hat trotz Kinderlähmung erreicht, wovon andere träumen: Mit 35 Jahren lebt er in Los Angeles als Autor für eine erfolgreiche Sitcom und hat einen Partner, der ihn unterstützt. Ryan O’Connells Debütroman Just by Looking at Him erzählt in überaus unterhaltsamem Ton vom Überwinden von Widrigkeiten und davon, wie selbst die großen Träume schal werden können.

Just by Looking at Him erzählt von Elliott, einem schwulen Mann mit Kinderlähmung. Es ist also kein einfaches Los, das er gezogen hat. Er fällt gleich doppelt durch das Normalitätsraster unserer Gesellschaft. Und in einer Datingszene, in der auf körperliche Attribute sehr viel Wert gelegt wird, waren seine Aussichten als Jugendlicher alles andere als blendend. Aber Elliott hat irgendwann nach Los Angeles gefunden und dort Gus getroffen. Als staff writer einer Sitcom wird ihm überdies ein äußerst ansprechendes Auskommen zuteil. Trotz schwieriger Voraussetzung hat er es also gut getroffen: Er hat einen liebevollen und attraktiven Partner, mit dem er sich ein sehr komfortables Leben aufgebaut hat. Die meisten Abende verbringen sie damit, sich Essen liefern zu lassen, einen (oder zwei) guten Wein zu trinken und Netflix zu schauen. Am Wochenende geht man brunchen. Man trinkt auch dort. Man trinkt ziemlich regelmäßig – ein erstes Alarmsignal, dass vielleicht doch nicht alles so rosig ist.

Elliots Chef ist ebenfalls schwul und herrscht über seine Autoren als wäre er ein in Prada gekleideter Teufel. Abgesehen davon, dass die Arbeitsatmosphäre entsprechend angespannt ist, interessiert Elliott die Show, für die er schreibt, nicht weiter. Er findet das Endprodukt ziemlich mies. Mehr als ein paar Gags kann er ohnehin nicht unterbringen. Als sein Chef, der nicht nur herrisch ist, sondern auch ein ziemlich loses Mundwerk hat und scheinbar keine Grenzen kennt, bei einem Meeting von einem Erlebnis mit einem Escort erzählt, wird Elliott neugierig und nimmt Kontakt zu eben diesem Escort auf. Die Angelegenheit eskaliert schnell, erst, weil er sich in River verliebt und dann, weil er die Sache zur Gewohnheit werden lässt. Kurzum ist Elliott dabei, alles, was er sich aufgebaut hat – Job und Beziehung – hinzuschmeißen.

Der Star in Just by Looking at Him ist der Ich-Erzähler Elliott und somit sein Autor. Der komplette Text ist in einem plauderhaften, genuin schwulen Ton geschrieben. Es ist ein flapsig-ironischer Ton, Oscar Wilde wäre sicher stolz. Es ist mittlerweile zwar nicht mehr sonderlich originell, wie ein schwules Meme zu klingen – Steven Rowleys Guncle hatte ziemlich denselben Sound und spielte auch in einem ähnlichen Milieu –  es liest sich aber äußerst amüsant. Die Die lesenden Augen gleiten flott über die umgangssprachlichen, schnippischen Zeilen. Auch eher ernste Sachverhalte lesen sich, als würden sie in einer Pointe enden – was nicht selten dann auch der Fall ist. So beschreibt Elliot die etwas im Alltag versandete Beziehung zu seinem Partner Gus anhand der wahrlich unattraktiven Angewohnheit, in Babysprache miteinander zu reden, wie folgt:

It’s like, you’re with someone for so long, words become so dull that you decide to make them fun, but somehow you end up talking like you have brain damage, and any spark of desire you have for this person gets slowly snuffed out. Once I was fucking Gus’s mouth, and I couldn’t come, and he lokked at me, my uncooperaative penis resting next to his cheek, and said in fullon baby voice, “It’s okay, my widdle dawin.”
Please, somebody help us. No one tells you that, in long-term relatioships, you will never love someone more and want to fuck thm less (10).

Just by Looking at Him ist ein ziemlich freizügiger Text, der selbst eher triste Wahrheiten süffisant serviert. Das passt natürlich zum Gag-Scheiber einer Sitcom. Gleichwohl kann man sagen, dass auch Selbstironie als eine Art coping mechanism verstanden werden kann: Nicht nur Beziehungsprobleme, auch das Leben mit Behinderung – der Autor ist übrigens selbst von Kinderlähmung betroffen – werden pointiert erzählt. Das eigene Leid mehr zur Komödie als Tragödie machen – vielleicht eine gesündere Strategie als zum Trauerkloß zu werden. Es ist gesellschaftlich zumindest anschlussfähiger. Die Erlösung bringen letztlich aber die ungeschminkten Wahrheiten – das ist auch in Just by Looking at Him so. Denn letztlich muss Elliott sowohl mit seiner Behinderung als auch mit seiner Beziehung ins Reine kommen.

Just by Looking at Him ist ein überaus unterhaltsamer Roman, der weder sprachlich noch strukturell Neuland begeht, dafür aber inhaltlich sicher aus der Masse hervorsticht und es dabei tunlichst vermeidet zu langweilen.

*

Just by Looking at Him ist bei Atria Books erschienen. Eine deutschsprachige Ausgab liegt noch nicht vor.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.