Anton ist Dozent und Doktorand der Kunstphilosophie an einer Universität in der flämischen Region Belgiens. Einer seiner Studenten sticht heraus – Egidius De Blaeser (genannt Dius) ist selten anwesend, etwas provokant und ein genialer Künstler. Unvermittelt steht er vor Antons Tür, bietet ihm einen ruhigen Arbeitsraum in einem abgelegenen Dorf an – und seine Freundschaft. Dius von Stefan Hertmans ist ein Roman über eine unkonventionelle Freundschaft und die Kunst.
Man kann Dius als Universitäts- und Künstlerroman beschreiben. Der Künstler ist Dius, der Erzähler der Dozent. Und während man glauben könnte, es handle sich um eine Geschichte über das Verhältnis zwischen Mentor und Zögling, zeigt sich, dass vielmehr Dius in dieser Freundschaft den Ton angibt. Sie trennen auch nur wenige Jahre – Anton ist noch nicht promoviert, Anfang dreißig.
Er ist – rein platonisch – fasziniert von seinem jüngeren Freund. Dius kommt gut bei Frauen an, ist eigensinnig und begabt. Antons Leben spielt sich im Rahmen der Universität ab – sie ist Arbeits- und Sozialraum zugleich. Darüber hinaus befindet er sich in einer dysfunktionalen Beziehung, die an einer Affäre zerbricht. Sein Leben ist die Beschäftigung mit der Kunst.
Als Dius also unverschämterweise bei seinem Dozenten an die Haustür klopft und ihn in ein nahegelegenes Dorf entführt, ist dieser zunächst widerspenstig, aber schnell gefangen. Nachmittage und Wochenenden verbringen die beiden Männer damit, klassische Musik zu hören, über Kunst zu sprechen, an der Dissertation zu arbeiten oder Kunst zu produzieren. Lagerfeuer und Spaziergänge durch die flämische Landschaft prägen diese Zeit, nur unterbrochen von den Verpflichtungen der Universität und unglücklich verlaufenden Liebesbeziehungen.
Es sind dann auch die Frauen, an denen sich die beiden Männer schließlich entzweien. Stefan Hertmans spannt diese Erzählung über das halbe Leben seines Erzählers; den Fokus hat dabei die prägende Zeit in dem Dorfhaus, die mit einem Bruch zwischen den Männern ihr Ende findet. Sie macht den ersten Teil des Romans aus. Nach einem Zeitsprung begegnen wir Anton als zurückgezogenem, in seiner Liebe zur Kunst beinahe erstarrtem Mann wieder.
Hertmans inszeniert in Dius die Freundschaft als treibende Kraft im Leben seines Erzählers. Im Licht von Dius erblüht er, im Schatten seiner Abwesenheit droht er zu versteinern. Aus der Zeit gefallen sind die beiden Männer ohnehin: Beide fühlen sich in ihrer Liebe zu altmeisterlicher Kunst und klassischer Musik ein paar Jahrhunderte zu spät auf der Welt. Aber wer nur zurückschaut, verpasst womöglich die Zukunft – und versteht vielleicht auch die Gegenwart nicht ganz.
Dius ist ein ruhig erzählter, für manchen Leser vielleicht auch etwas träger Roman, an dem Freunde alter Meister der Kunst und Musik große Freude finden werden. Die Erzählung enthält auch durchaus bissige, satirische Elemente in Bezug auf den Kunst- und Universitätsbetrieb. Doch auch Klassenunterschiede und die Dichotomie zwischen Kunst und Materialismus sind in die Handlung eingewoben, ebenso wie der menschgemachte Verfall der Natur. Es ist zudem ein Roman über das Theoretisieren, das Betrachten gegenüber dem Machen und Erleben – letztlich die zentrale Lektion, die der Erzähler zu lernen hat. Er ist der Zögling, Dius der Mentor.
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Dius von Stefan Hertmans ist bei Diogenes erschienen.
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