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Anamnese: Botanik des Wahnsinns von Leon Engler

Botanik des Wahnsinns von Leon EnglerVerrückt sein oder verrückt machen: Leon Engler erzählt in seinem autobiografischen Debütroman Botanik des Wahnsinns die Familiengeschichte anhand der psychischen Erkrankungen, die sich durch die Generationen ziehen. Das Werk beginnt mit dem Autor, der die Hinterlassenschaften der Mutter nach einer Zwangsräumung sortiert – alles Persönliche wurde fälschlicherweise zerstört, nur Rechnungen und Amtsschreiben sind erhalten geblieben. Dann springt der Text in die Vergangenheit – im Hintergrund stets die Frage nach der genetischen Disposition für psychische Erkrankungen: Könnte es auch ihn treffen?

Trotz der relativen Kürze von zweihundert Seiten ist Botanik des Wahnsinns kein schnell gelesenes Buch. Das liegt nicht am gut lesbaren, klaren Stil des Autors, sondern vielmehr daran, dass diese Familienchronik zwischen einzelnen Familienmitgliedern bis hin zu den Großeltern hin- und herspringt und zugleich die Bildungsgeschichte des Autors/Protagonisten beleuchtet. Als studierter Psychologe webt Engler Passagen zu Psychologie und Psychiatrie ein, die eher essayistische als narrative Qualitäten haben. Die Dramaturgie wirkt stellenweise etwas locker. Zugleich ist der Text thematisch oft niederschmetternd – Botanik des Wahnsinns ist keine leichte Kost, kein flottes Leseerlebnis.

Doch voller Einsichten darüber, inwieweit die Familiengeschichte unser Leben vielleicht – oder vielleicht auch nicht – determiniert, was es bedeutet, „normal“ zu sein oder ein normales Leben zu führen. Genetische Vorbelastung oder unglückliche Lebensumstände – was lässt Menschen aus der Norm akzeptierten Verhaltens fallen? Was bedeutet es, depressiv zu sein? Psychische Erkrankungen sind kein gebrochenes Bein – ihre Diagnose ist weitaus schwieriger. Gleiches gilt für die Therapie.

Aufschlussreich, nachvollziehbar und manchmal deprimierend: Botanik des Wahnsinns ist ein lesenswerter Text, in dem der Autor offen über die eigene Familie schreibt. Als Roman funktioniert das durchaus, wenngleich eine stärkere Verdichtung des Materials, das sprunghaft zwischen Familienmitgliedern, Zeitebenen und essayistischen Reflexionen über psychische Erkrankungen alterniert, dem Spannungsbogen gutgetan hätte. Dennoch: gelungen.

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Botanik des Wahnsinns von Leon Engler ist bei Dumont erschienen. 

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