Der amerikanische Autor Jesse Ball zeigt sich als Spezialist für enigmatische, faszinierende und fantasievolle Texte. 16 Veröffentlichungen gehen bereits auf ihn zurück, Das Spiel des Tauchers ist der zweite Roman, der nun in deutscher Übersetzung (von Alexander Lippmann) erhältlich ist. Wie zuvor Zensus (ebenfalls im Luftschacht Verlag) ist es ein dystopischer Text, der fremdartig und nah zugleich ist. Es ist eine Parabel in drei Kapiteln über die Entmenschlichung des Individuums in vermeintlich fortschrittlichen Gesellschaften.
Das Spiel des Tauchers öffnet mit der Teenagerin Lethe und ihrer Freundin Lois, die nach dem Unterricht im College mit ihrem Lehrer Mandred mit dem Zug zum Zoo fahren, in dem, wie sich herausstellt, ein Kaninchen das letzte lebende Tier ist. Im Unterricht wie auch im Zoo erfährt der Leser über die Organisation dieser dystopischen Gesellschaft: Es gab eine Zeit des Zustroms Geflüchteter, was zur Umgestaltung zur Zweiklassengesellschaft führte. Um die Staatsbürger von den Flüchtlingen, genannt Quads, zu unterscheiden, werden letztere auf der Wange tätowiert. Auch wird ihnen der rechte Daumen abgenommen. Sie leben in Ghettos, rechtsfreie Räume. In den Städten herrschen die Bürger, die mit Gasmasken und Kartuschen bewaffnet Quads straffrei vergiften können.
Jesse Ball beleuchtet in Das Spiel des Tauchers den psychologischen Effekt, den diese fundamentale Abkehr von westlichen Moralvorstellungen hinsichtlich der Gleichheit bedeutet. So entmenschlicht dieses System ist, so entbehrt die neutrale Sprache aber nicht das Feingefühl für die Figuren, die sie konstruiert. Ball findet in diesem dystopischen Konstrukt tatsächlich viel allzu Menschliches. So gesehen kann man zumindest in diesem Roman philosophisch betrachtet eine Nähe zum Werk Cormac McCarthys erkennen. Auch in einer grausamen Welt flackert hier und da eine kleine Flamme. Am hellsten flackert diese im dritten Kapitel dieses Buches, das zwar keine stringente Handlung durcherzählt, sondern drei in dieser Welt angesiedelte Episoden juxtaposiert, um mit bestechender Ökonomie ein vielschichtiges und überaus einnehmendes Gesamtbild zu erzeugen.
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Das Spiel des Tauchers von Jesse Ball ist bei Luftschacht erschienen.
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