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Der absteigende Ast: Tahara von Emanuel Bergmann

Tahara von Emanuel Bergmann“Marcel Klein [war] im Grunde nur ein Mensch, der die Kunst des Glücklichseins nie erlernt hatte” (5), stellt uns Emanuel Bergmann den Protagonisten seines am Rande der Filmbranche spielenden Romans Tahara vor. Vielleicht wird er das mit dem Glück nie lernen, denn er hat sein halbes Leben schon gelebt, eine Scheidung hinter sich und einen Job als Filmkritiker, der ihm nicht mehr alle Rechnungen zahlt. Etwas Licht – und Drama – kommt in sein Leben, als er der melancholisch-schönen Héloïse begegnet. Deren Name setzt sich laut Wikipedia übrigens “aus den Elementen heil „Glück“, „Gesundheit“, „heilig“ und víđ „weit“, „getrennt“, „entfernt“ zusammen”.

Marcel Klein ist in Cannes, um über das Filmfestival zu berichten. Pressekonferenzen, Interviewtermine, Vorführungen und jede Menge Partys winken. Es kommt ihm gelegen, denn in Berlin warten nur unbezahlte Rechnungen auf ihn, ebenso wie eine entfremdete Mutter. Sonst, so scheint es, gibt es im Leben des bekannten Filmkritikers nicht viel. Emanuel Bergmann, der Tahara in einem wunderbar spitzbübischen Ton erzählt, charakterisiert seinen Protagonisten im ersten Kapitel messerscharf. Abgesehen von der Unfähigkeit zum Glücklichsein steht er “gerne im Mittelpunkt“ (9). Attraktive Frauen findet Marcel bedrohlich (11). So auch Héloïse, die er am Morgen beim Kaffee in seinem Hotel erspäht.

Es sind zwei Menschen, die schon früh von der Magie des Kinos gefangen waren. Und obwohl Héloïse auf Distanz zu Marcel geht, kreuzen sich ihre Wege – die Magie des Kinos! – immer wieder. Eine Art Tauziehen beginnt: Findet sie ihn unsympathisch oder interessant? Beide Menschen tragen Geheimnisse in sich und die Leben beider stehen am Scheitelpunkt. Sie ist eigentlich verheiratet, aber in einer Nacht und Nebel-Aktion nach Cannes gefahren. Marcel schwärmt für ein Medium, das seine Bedeutung längst verloren hat und übt einen Beruf aus, der nicht mehr den Stellenwert von einst genießt. Zwar hat er es als Kritiker zu einiger Bekanntheit gebracht, aber ein wirklich guter Journalist scheint er nicht zu sein.

Die Begegnung mit Héloïse wirkt wie ein Brandbeschleuniger seiner zerfallenen Karriere. Man geht auf Partys, trinkt und kokst zu viel, schleppt sich übernächtigt zum Interview mit einem großen Star, hält sich nicht an die Spielregeln, provoziert einen Skandal und das Ende der Karriere. Eine mächtige Midlife Crisis bricht sich in Cannes bahn. Marcel, der sich selbst fremd geworden ist, wird durch Héloïse gezwungen, in den Spiegel zu schauen und reinen Tisch zu machen.

Tahara ist ein rasant und in kurzen Kapitel erzählter Roman, der sich etwas am Klatsch und Tratsch der Filmbranche erfreut und dem Schrecken der eigenen Unzulänglichkeit mit Humor begegnet. Es ist nie zu spät, die Spur zu wechseln, bis es eben doch mal zu spät ist.

Eine unterhaltsame, leichte Satire auf die Filmbranche und ihre zerfallenden Posen.

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Tahara von Emanuel Bergmann wird von Diogenes verlegt.

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