Aktuell flimmert die Luft vor sommerlicher Hitze. Die Biennale Ostrale, die vor zwei Jahren in der Robotron Kantine ihr hoffentlich dauerhaftes Zuhause gefunden hat, präsentiert in diesem Jahr unter der Überschrift Kammerflimmern – ob der Krisen von Krieg bis Klimaerwärmung durchaus treffend. Aber die Titel der Ausstellungen sind im Angesicht der ausgestellten Kunst selten programmatisch. Vielfältig wie lange nicht ist die Ostrale 2023 die gelungenste Ausgabe seit langer Zeit.
Der Besucher wird in die Ostrale 2023 hineingeboren: Nachdem der Eintritt bezahlt ist, geht es durch einen dunklen Gang (wer möchte, kann eine Taschenlampe nehmen), um nach zirka acht vorsichtig tastenden Schritten die Tür zum ersten großen Ausstellungsraum zu öffnen. Und gleich fällt auf: Mehr Gemälde – allgemein Kunst an den Wänden – ist zu sehen im Vergleich zur letzten Ausgabe, in der Konzeptkunst überhand genommen hatte. Also: weniger Videos, dafür ausgewogene Vielfalt in den verwendeten Medien. Gleich das erste Werk, die Serie “Herbarium” von Philipp Valenta, zeigt filigran aus Banknoten herausgeschnittene Blüten, ein ästhetisches Werk, dessen Handwerklichkeit beeindruckt und das auch ohne aufwendige Beschreibung Assoziationsketten in Gang bringt (siehe Beitragsbild). In handwerklicher Hinsicht nicht minder beeindruckend sind die Scherenschnitte “Lost Places” von Carsten Busse, der verlassene Orte als aus schwarzem Papier geschnittene Schatten an die Wand bringt.
Von der Wand zum Boden zieht Bernd Hennigs Installation “Die Entscheidung” den Blick auf sich. Zwei identische, hockende Männer sind durch einen roten Faden verbunden, der “Hass” und “Liebe” schreibt. Eine endlose Schleife, die sich durch den Kopf des Menschen zieht, sich für das Eine oder Andere zu entscheiden. Ob diese Schwarz-Weiß-Sicht wirklich noch zeitgemäß ist?
Überwiegend ästhetisch und konzeptionell ansprechende, oft wahrlich originelle Kunst ist in der gesamten Ausstellung zu finden. Highlights herauszugreifen ist bei der Ostrale 2023 so schwer wie lange nicht mehr. Handwerklich einfach gehalten, dafür in ihrer Einfachheit geradezu genial ist die Serie “Hier ist der Beweis” von Tanja Schwarz, die das philosophische Dilemma des Menschen und seiner Wahrnehmung – von sich und der Welt, humorvoll illustriert. Wir sehen beispielsweise ein Strichmännchen vor einem Wegweiser: Zu sehen ist keine Karte, sondern ein menschlicher Kopf, in den ein Pfeil zeigt: “You are here”. Die Zeichnungen nehmen dicht gedrängt gleich zwei Wände ein und bieten so manchen Aha-Moment.
Verblüffend in seiner Ausführung ist Ivan Milenkovics “Laptop Light 6”, ein Ölgemälde aus einer Serie, in der Computer und Handys als einzige Lichtquelle fungieren und der bunten Digitalwelt ihr fahles Gegenüber geben. Die Art und Weise, wie die ausgestellten Künstler das Thema Digitalisierung und virtuelle Realitäten bearbeiten, weiß überhaupt in dieser Ostrale zu begeistern. Anstelle digitale Welten mit digitaler Kunst auszuleuchten, erschafft Sebastian Hertrich beispielsweise seine Skulptur “Salome” aus Plexiglas und Schaltkreisen, spannt dabei einen Bogen von der griechischen Mythologie ins Heute.
Wunderbar originell nähert sich der Künstler Sinisa Lordan in dem Wandobjekt “Wahrheit” eben dieser. Präsentiert wird eine weiße Leinwand, die den Besucher scheinbar im Blick hat. Aus der Ferne drückt sich von hinten das Wort Wahrheit durch die Leinwand. Nähert man sich, verschwindet es. Es ist eine überzeugende wie überraschende Weise, die trügerische und flüchtige Gestalt von Wahrheiten zu verbildlichen. Das Werk ist nur eines von vielen in ihrer Originalität überraschenden, die die Ostrale 2023 präsentiert. Und das am perfekten Ort dafür – der Robotron Kantine die der Stadt hoffentlich erhalten bleibt. Vielleicht ist Kammerflimmern gar kein so schlechter Titel für die Schau – denn man verlässt die Ausstellung mit erquicktem Herzen.
Die Ostrale 2023 ist bis zum 01. Oktober 2023 in Dresden zu sehen. Mehr Infos.
*
Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.