Allgemein,  Dresden,  Kritik

Ostrale 2021: Atemwende

Ostrale 2021Huch, schon wieder zwei Jahre vergangen, zwischenzeitlich ist die Welt aus den Fugen geraten, da hat die Ostrale plötzlich wieder geöffnet. Unter dem Thema Atemwende residiert die Ostrale 2021 neuerlich an einem neuen Standort. Nachdem die letzte Ausgabe nach dem Aus am Messegelände in der Tabakfabrik eine neue Herberge fand, ist es jetzt die Robotron Kantine inmitten der Stadt, die als Hauptausstellungsort dient. Eine tolle Wahl, denn um diese Perle der Ostmoderne kann man als Dresdner nur zittern – eigentlich soll sie der Lingnerstadt weichen, doch verschiedene Vereine bemühen sich um ihren Erhalt, der im Zuge der Kulturhauptstadtbewerbung zwischenzeitlich als gesichert galt (naja…). Es haben sich gewissermaßen zwei Dinge mit nicht immer als gesichert geltender Zukunft zusammengefunden – mögen sie uns in genau dieser Konstellation noch lange erhalten bleiben.

Fast schon heimlich still und leise hat die Ostrale 2021 geöffnet, zumindest in meiner Wahrnehmung. Dass die Biennale ihre neue Heimat in der Robotron Kantine gefunden hat, merkte ich erst nach ihrer Eröffnung am 1. Juli. Sonst kündigte sie sich ja sichtbar über die Stadt verteilt an – vielleichts steht das verhaltene Marketing ja mit der Pandemie in Zusammenhang. Wie dem auch sei: Jetzt ist sie da und lebendig wie eh und je. Dass die Biennale, die vornehmliche zeitgenössische Kunst aus Ostdeutschland und Osteuropa ausstellt, nun in einem der wenigen verbliebenen Orten der Ostmoderne und das inmitten der Stadt, einen Platz gefunden hat, ist eine schöne Fügung. Das passt, das sollte so bleiben.

“The whole world is made to pass through the STRAW of the culture industry” (2013) von Seckin Aydin
“The whole world is made to pass through the STRAW of the culture industry” (2013) von Seckin Aydin

Das Thema Atemwende evoziert natürlich im Vorfeld des Besuchs vom allgemeinen Lebenskontext geleitete Assoziationen. Wir leben schließlich in einer von einem die Luft nehmenden Virus geprägten Zeit. Dass Corona auch seinen Weg in die ausgestellten Werke gefunden hat, war gewissermaßen zu erwarten. Und so grüßt Corona den Besucher als erstes Exponat, welches aus bestickten Schutzhandschuhen und einer Maske besteht. Dieser erste Raum zeigt des Weiteren noch zwei kartografische Werke, die Kapitalismuskritik üben. Das visuell interessantere davon ist “The whole world is made to pass through the STRAW of the culture industry” (2013) von Seckin Aydin, das die Weltkarte anhand von bunten Plastik-Strohhalmen abbildet und augenzwinkernd auf Adorno Bezug nimmt.

“M.I. (exterminati mechanica)”
M.I. (exterminati mechanica)

Das bestimmende Motiv des Themas Atemwandel ist in diesem kleinen Teaser aber noch nicht zu erkennen. Tatsächlich beschäftigt sich eine Großzahl der Exponate – der überwiegende Teil Konzeptkunst (Installationen, Video) – mit dem Klimawandel. Das macht gleich das erste Exponat des ersten der beiden großen Haupträume der Robotron Kantine deutlich: Zu sehen sind 12 Druckgrafiken des tschechischen Künstlers Jan Sebesta. “M.I. (exterminati mechanica)” greift die Einflussnahme des Menschen in die Natur auf, besonders den Einsatz von Pestiziden, indem mechanisierte, an Steam Punk erinnernde, Insekten abgebildet werden. Ist das die Zukunft ob des weltweiten Insektensterbens, brauchen wir bald mechanische Bestäuber zur Nahrungsproduktion? Der menschliche Eingriff in die Natur wird in vielfältigen Formen aufgearbeitet: Sali Mullers LED-Installation “I Am Running and Consuming Energy for Nothing” (2017) lässt seinen Titel als endlos geloopte Laufschrift am Auge des Betrachters vorbeiziehen und hinterfragt den gedankenlosen Verbrauch von Ressourcen. Jullja Pociütés Objekt “Forest” arrangiert hingegen Kiefernholz mit auf Verbundglasscheiben gedruckten Baumstämmen und stellt die Frage nach der Natur und Erinnerungen an sie.

Atemwandel ist als Begriff deutunsgreich genug, um vielfältige Wandlungsprozesse aufzunehmen. “Stadien der Erinnerung” (2019) von Laura Erika Urbanski macht die inhärenten Wandlungsprozesse der Erinnerung plastisch, indem fünf 3D-Drucke einer Koralle nebeneinander präsentiert werden. Ist der erste Druck eine Kopie des Originals, ist der nächste eine Kopie der ersten Kopie usw. Das letzte Stück kann nur noch eine stark mutierte Version des Originals darstellen. Eine Erinnerung kann über die Jahre verschiedene Formen annehmen, Erinnern ist ein Prozess des Verfälschens.

Ivan Milenkovics Öl-Gemälde “Smartphone 17”
Ivan Milenkovics Öl-Gemälde “Smartphone 17”

Ivan Milenkovics Öl-Gemälde “Smartphone 17” setzt die Natur in Verbindung zum Corona-Lockdown. Zu sehen ist ein junger Mann mit Maske, der in einem Wald stehend vom blauen Licht seines Smartphones ausgeleuchtet wird – ein spannungsreiches Bild über die Natur als Rückzugsort aus dem häuslichen Lockdown und dem entgegenlaufendem Wunsch nach sozialer Bindung über das Handy. Digitalisierung trifft also Natur: Die Vermutung liegt nah, der Abgebildete hat in dieser Konstellation weder Kontakt zu seiner physischen Umgebung noch physischen Kontakt zu anderen Menschen – er steht verloren im Wald. Dem blendenden Licht der digitalen Welt scheint man jedenfalls kaum noch entkommen zu können – eine andere, permanentere Art des Lockdowns.
Passend zum Lockdown inszeniert Thomas Neumalers “mobil home office” (2020) augenzwinkernd die Vermischung unseres Arbeits- und Lebensalltags, indem er das mobile Büro mit vor-digitalen Arbeitsmitteln inszeniert.

Thomas Neumalers “mobil home office”
Thomas Neumalers “mobil home office”

Die Ostrale 2021 bietet Kunst für mehrere Nachmittage. Neben den zwei großen Haupträumen kann der Besucher auch noch in den etwas gruselig anmutenden Keller der Robotron Kantine hinabsteigen. Doch wenn es soweit ist, hat man die pro Besuch über das Ticketing System veranschlagten 120 Minuten eigentlich schon überschritten – ebenso die eigene Aufnahmefähigkeit. Die wird im übrigen nicht vereinfacht durch das etwas umständliche Beschriftungskonzept zu den Exponaten. Besonders in den großen Haupträumen muss man nach Erklärungen zu den Werken, neben den jeweils nur eine Nummer angebracht ist, suchen. An wenigen Stellen kann man – vorausgesetzt man findet sie und hat sich die Nummer gemerkt – teils sehr intellektuelle Erklärungen zu den Exponaten lesen. Da hilft es, dass Kunstvermittlerinnen dem Besucher auf Wunsch unaufdringlich zur Seite stehen und für Aufklärung sorgen. Diese ist bei vielen der konzeptionellen Arbeiten, die sich dem Betrachter oft verschlossen zeigen und selten ästhetischen Reiz ausüben, durchaus willkommen. Dennoch: Trotz kleinerer Abstriche zeigt sich die Ostrale 2021 bei ihrem Debüt in der Robotron Kantine in guter Verfassung – hoffen wir auf ein Wiedersehen in zwei Jahren an selber Stelle!

*

Mehr Informationen zum Besuch der Ostrale 2021.

Dieser Blog ist frei von Werbung und Trackern. Wenn dir das und der Inhalt gefallen, kannst du mir hier gern einen Kaffee spendieren: Kaffee ausgeben.