Entfaltet sich unser Leben im Rahmen unseres Bankkontos? ist Identität nichts mehr als eine Reihe erinnerter Erinnerungen? Was der Tag bringt von David Schalko wirft eine Reihe Fragen auf über das postmoderne, post-Covid Leben anhand seines sich auflösenden Protagonisten Felix. Was bleibt von uns, wenn wir alles ablegen und nichts wollen, außer einer fremden Berührung?
Für eine Pandemie könne keiner was, sagt der joviale Bankberater zu Felix, als dieser sich mit der Tatsache auseinander setzen muss, dass er seinen Kreditrahmen gesprengt hat. Dessen Catering Start-up, das weggeworfene Lebensmittel verarbeitete, hat die Pandemie nicht überlebt. Wie soll der Unternehmer, der nie einen Beruf erlernt hat, seine Finanzen und damit sein Leben wieder ins Lot bringen? Felix hat keinerlei berufliche Ambitionen und schmiedet einen kühnen Plan: Wenn er die Wohnung seiner verstorbenen Mutter acht Tage im Monat vermietet, könnte er finanziell durchkommen.
Kein einziges Mal hatte während der Pandemie das Telefon geläutet. Als wäre es ebenfalls ansteckend gewesen. Kein einziges Mal. Das Leben hatte ihn geghostet (67).
Wenn Felix acht Tage im Monat keinen Zugriff auf seine Wohnung hat, muss er irgendwo anders unterkommen: Es beginnt eine Odyssee, die ihn erst zu seinem vermeintlichen Freund Eugen und dessen Freundin Moira führt und später zu seiner Ex-Freundin Sandra, die mit Bruno eine Familie gegründet hat, den viele als bessere Version von Felix betrachten. Aber auch diese Beziehung ist dabei zu enden, weil Sandra sich in der Rolle als Partnerin und Mutter verliert. Das Ich ist der hohle Kern, um den sich Vieles in Was der Tag bringt dreht. Felix wurde von Sandra durch Bruno ausgewechselt. Seine ehemaligen Angestellten sind mit dem Ende seines Unternehmens aus dem Leben verschwunden. Eugen spielt Spielchen. Menschen verschwinden, verlieren sich selbst: “Das Ich ist kein Naturgesetz”, sagt ihm Eugen irgendwann (242). Sind wir nur eine Reihe endloser Verschiebungen, ohne Wahrheit oder Kern und können doch wir nicht aus dem Käfig unserer Haut?
Felix löst sein Leben und sich immer weiter auf: Nicht nur vermietet er seine Wohnung, an der letztlich auch die Erinnerung an seine Familie klebt, sondern trennt sich von den Objekten, die er über sein Leben hinweg angeschafft hat. Der Roman nimmt – philosophisch betrachtet – absurde Züge an, als Felix plötzlich einen Roadtrip aufnimmt und gen Osten fährt. Dort kommt er schließlich im Hotel-Casino Jeu Zero unter, wo eine Übernachtung zwar kaum etwas kostet, dafür aber jede Handlung – vom Türöffnen bis zum Toilettengang -, alles extra berechnet wird. In seiner lichtlosen, von Zeitgefühl befreiten Gestalt erinnert der Ort durchaus an den Komplex in Don DeLillos Roman Null K – und auch philosophisch dockt er anhand der Aphorismen, die die wohlhabenden Gäste an die Toilettenwände kritzeln, daran an.
Was der Tag bringt ist ein Roman voller Ideen über die Vorstellung von uns selbst, vom Sehen und Gesehenwerden. Nicht ohne Zufall spielt das Thema Fotografie eine große Rolle: Felix, ein Hobbyfotograf ohne künstlerischen Anspruch, versucht andere zu sehen, sieht aber nur deren Posen und ist letztlich nie selbst im Bild. Wer können wir sein ohne andere, ohne Wohnung, ohne Objekte? Ein kluger Roman, der es wagt, in die Leere unseres Selbst zu blicken.
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Was der Tag bringt ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
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