Abwechslungsreicher kann ein Buch kaum sein: Wlada Kolosowas Der Hausmann ist multiperspektivisch erzählt, vereint Prosa mit Graphic Novel und entführt den Leser in das Berlin abseits des S-Bahn-Rings. Hier findet sich Tim, der titelgebende Hausmann, mit seiner Freundin Thea wieder, nachdem sie aus der Wohnung am Maybachufer gentrifiziert wurden. Es ist ein abwechslungsreicher, unterhaltsamer Text nah am Puls der Zeit.
Der Hausmann erzählt von einem Wohnhaus auf der Wolffstraße fernab des touristischen Berlins. Hier dröhnt “Deutschrap aus offenen Autofenstern wie aus riesigen Jukeboxen” (S. 5). Es ist also ähnlich laut wie das bunte Treiben in Berlins hipper Mitte, aber eben alles etwas abgeranzt. Tim und Thea finden sich hier, weil beide trotz akademischer Ausbildung nicht das Geld für ein Leben innerhalb des S-Bahn-Rings haben. Er ist freier Illustrator, der an einer Graphic Novel über die Erderwärmung schreibt. Sie arbeitete Teilzeit für ein NGO – ein Job, den sie sich aufgrund ihres wohlhabenden Familien-Hintergrunds leisten konnte. Aber der strenge Vater hat den Geldhahn zugedreht, sodass sie nun als Social Media Managerin für ein Start-up arbeitet, das veganes Hundefutter produziert.
Während Thea sich in ihrem neuen Job, bei dem es praktisch keinen Feierabend gibt, zerreibt, bleibt Tim zuhause, schrubbt die Wohnung, kocht das Abendessen und arbeitet an seinem Buchprojekt, welches von Raúl Soria illustriert ebenfalls abgedruckt ist. Der Hausmann alterniert nicht nur zwischen den Perspektiven des jungen, sich verlierenden Paares. Ebenso dabei ist Maxim, der aus der Ostukraine geflüchtet ist und sich mit Tim anfreundet, um sein Deutsch zu verbessern, sowie die 80-jährige Dagmar, die das Internet für sich entdeckt hat und einen Blog schreibt. Seine dramaturgische Spannung erhält der Text, als plötzlich Männer vor Tims Haustür auftauchen und ihn zusammenschlagen: Angeblich wildert er in ihrem Revier.
Thematisch gibt es viele Anknüpfungspunkte an die Probleme unserer Zeit: Prekäre Arbeitsverhältnisse in hippen Start-ups, der Krieg in der Ukraine, Gentrifizierung, urbane Vereinsamung, Klimakrise, Multikulturalität und Vorurteile. Nichts davon wird didaktisch erklärt, die Autorin setzt auf zeigen und dabei gelingt es ihr wunderbar, die einzelnen Protagonisten zu differenzieren. Maxim erzählt in gebrochenem Deutsch durch sein Lerntagebuch oder Thea kommt in Chat-Protokollen mit ihrer Vorgesetzten, die gleichzeitig auch eine Jugendfreundin ist, zur Sprache. Das Auge wird mit dem von Raúl Soria illustrierten Graphic Novel bestens unterhalten.
Kurzum: Der Hausmann ist eine originell erzählte Berlin-Geschichte am Puls der Zeit. Empfehlenswert.
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Der Hausmann von Wlada Kolosowa mit Illustrationen von Raúl Soria ist bei Leykam erschienen.
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