Mit Gerhard Richter: Portraits. Glas. Abstraktionen. öffnet anlässlich des 90 Geburtstags des in Dresden geborenen, heute in Köln lebenden Künstlers eine neue Schau im Albertinum. Richter, dem seit 2010 zwei Räume der Dauerausstellung gewidmet sind, hat die neue Ausstellung selbst kuratiert und zeigt einen, wenn auch stark verkürzten, Querschnitt durch das vielfältige Schaffen des wahrscheinlich bedeutendsten lebenden Bildermachers des Landes.
Seit der Flutkatastrophe 2002 ist Gerhard Richter aus dem Albertinum nicht mehr wegzudenken. 1961 floh er aus seiner Geburtsstadt und kehrte zumindest in musealer Hinsicht zurück, als er den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nach dem Elbehochwasser das abstrakte Bild “Fels” spendete. Es ist natürlich Teil dieser neuen Ausstellung, in der die zwei Gerhard Richter Räume der Dauerausstellung um einen Raum erweitert und neu gestaltet wurden. Ein 90 Jahre währendes, bewegtes Leben – fiktionalisiert im vom Künstler selbst wohl nicht gemochten Film Werk ohne Autor – mit verschiedenen, recht gegensätzlichen Schaffensphasen in drei Räume unterzubringen, ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Man sollte also keine umfassende Werkschau erwarten. Das Konzept ist freier, assoziativer und bringt vornehmlich neuere Werke (ca. ab 1990) aus dem Besitz des Museums sowie aus Leihgaben anderer Häuser sowie Privatsammlungen zusammen. Der Titel der Ausstellung gibt dabei nicht die thematische Reihenfolge wider. Je nachdem aus welcher Richtung man sich nähert, beginnt man mit den abstrakten Malereien oder den Glasarbeiten. In der Mitte dieses farbenprächtigen Sandwiches sind gegenständliche Bilder mit Motiven aus dem Leben des Künstlers. Die Reise führt also vom Abstrakten zum Konkreten zum Abstrakten.
Von den restlichen Räumen der Dauerausstellung kommend, empfängt den Besucher der farbenprächtigste Teil von Portraits. Glas. Abstraktionen. Hier werden die abstrakten Öl-Gemälde Richters präsentiert, bis auf das bereits 1989 entstandene Werk “Fels” sind diese nach der Jahrtausendwende entstanden. Gerhard Richter schichtete auf den großformatigen Leinwänden, viele davon 2 mal 2,5 Meter groß, Farben übereinander, um diese wahlweise mit Spachtel oder Messer wieder abzunehmen. Besonders in jenen Werken, in denen Richter starke Farben auf die Leinwand gebracht hat, brennen diese in den freigelegten Stellen förmlich durch die Bilder. Durch den üppigen Farbauf- und -abtrag entsteht eine Sogwirkung in die Tiefe, zerklüftete Landschaften aus Farbe.
Der folgende Raum präsentiert vornehmlich Portraits. Die Werke zeigen Richters möglicherweise bekanntesten Malstil, die Abmalungen, die auf ganz eigentümliche Weise Fotorealismus mit impressionistischer Flüchtigkeit vereinen. Zu sehen ist beispielsweise ein Selbstportrait aus dem Jahr 1996, in dem das Foto schemenhaft in Ölfarbe übertragen, der Kontrast der Fotografie weichgezeichnet wird (siehe Beitragsbild). Wie dem Beigleitheft zu entnehmen ist, zeigt das Bild Richter in einer Phase des privaten Wandels, es entstand im Jahr der Geburt seines Sohnes Moritz. Im Jahr zuvor hatte er das dritte Mal geheiratet. Geradezu unscheinbar vor einem undefiniert grauem Hintergrund schaut er hier leicht an der Kamera vorbei.
Zu sehen ist auch eine mehrteilige Reihe, die seine Frau mit dem Säugling zeigt. Momente zwischen Mutter und Sohn werden unscharf wiedergegeben. Er nimmt Fotografien das Konkrete und führt sie in die Flüchtigkeit des Moments zurück, ein ständiges Werden. Einzig fehl am Platze wirkt “Grau” (1976), das nicht nur zeitlich, sondern auch motivisch aus dem Rahmen fällt. Zu sehen ist tatsächlich nichts weiter als eine grau bemalte Leinwand. Soll sie, so kurz zum Übergang in den nächsten Raum, das Auge des Betrachters nullen, bevor es wieder farbenfroh und unkonkret wird? Das reizlose Bild hängt in Nachbarschaft zu Naturdarstellungen, weitere Indizien für die Unberechenbarkeit eines Künstlers, der seinen Fokus nie nur auf eine Ausdrucksform scharf gestellt hat.
Und so zeigt der dritte Raum wieder etwas ganz Anderes. Hier sind zahlenmäßig die wenigsten Exponate zu sehen und der Großteil ist nicht der Malerei zuzuordnen. Zu sehen ist der Digitaldruck “Stripes” (2013), der sich über eine komplette Wand erstreckt, sowie drei riesige Werke, die “4900 Farben” (2007) in Quadraten als Lack auf Aludibond zeigen. Fast alles glänzt oder reflektiert hier, in erster Linie natürlich auch zwei gigantische, an gegenüberliegenden Wänden angebrachte Spiegel, die den Raum, die Besucher und die Werke wunderbar in Beziehung zueinander setzen. die sich durch ihre reflektierenden Oberflächen beim Betrachten je nach Blickwinkel überlagern. Es ist ein wunderbar dynamischer Raum, der das Flüchtige seiner Abmalungen in den Raum selbst überträgt. Ein Highlight.
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Gerhard Richter: Portraits. Glas. Abstraktionen. ist bis zum 1. Mai 2022 im Albertinum zu sehen. Der Eintritt ist aktuell nur über ein vorab gebuchtes Zeitticket möglich.
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