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Bücherjahr 2021: Meine drei Favoriten

Bücherjahr 2021Wieder ein Jahr rum, und wie das vorhergehende so ziemlich im Griff der Pandemie: Man lebt eigentlich nur noch in Frühling und Sommer. Weggesperrt in harten, soften oder halb-Lockdowns lässt es sich aber prächtig lesen. Und es war ein gutes Bücherjahr 2021. Es auf drei Titel herunterzubrechen ist ein schwieriges Unterfangen. Wie im letzten Jahr auch machten wieder drei Romane das Rennen.

Am Anfang und zum Ende des Jahres wurden die dicken Bretter gebohrt. Zu Jahresbeginn war ich überzeugt, dass Kurzes Buch über Tobias von Jakob Nolte auf meiner Bestenliste stehen wird. Es muss schreien, es muss brennen von Leslie Jamison fällt in die selbe Zeit, ebenso wie Memorial (deutsch: Dinge, an die wir nicht glauben) von Bryan Washington. Meine Bestenliste stand also praktisch schon im Juni. Jetzt bin ich plötzlich nicht mehr ganz so sicher: Denn dann kamen Salonfähig von Elias Hirschl und I Wished von Dennis Cooper im zweiten Halbjahr – alles Texte, die sprachlich, formal und inhaltlich am Puls der Zeit sind und Neues wagen. Auch der Erzählband Toronto von Kenneth Bonert ist eine Wucht (Rezension folgt). Noch gar nicht auf diesen Seiten besprochen wurde Bret Easton Ellis’ hervorragender Coming-of-Age Thriller The Shards, der seriell als Hörbuch auf dessen Podcast veröffentlicht wurde…

Dinge, an die wir nicht glauben von Bryan Washington

Bryan Washingtons Debütroman MemorialGelesen Anfang des Jahres in der unter dem Titel Memorial erschienen Originalausgabe war Washingtons Roman über eine auseinanderfallende Beziehung ein viel besprochener und gelobter Text. Völlig zurecht: Dinge, an die wir nicht glauben hat in Hinsicht viel Gegenwart. Beginnen wir mit der Sprache und Struktur des Textes: Washington lässt seine beiden Protagonisten abwechselnd zu Wort kommen und nimmt seine Erzähler ernst genug, um ihnen jeweils einen eigenen Sprachfluss zu geben. Das hilft dabei, dass sich das Buch gelebt anfühlt. Hier sind zwei Personen, die sich nach drei Jahren Beziehung zu verlieren drohen und jeweils ein inneres Tauziehen veranstalten. Dabei tritt die Partnerschaft nicht isoliert in den Fokus, sondern als Teil eines Beziehungsgeflechts, dass sie in den Kontext von Familie und Freundschaft bettet.

Seine Gegenwart nimmt der Text auch daraus, dass er von einer Beziehung erzählt, die es in der Form vor einem Jahrhundert sicherlich nicht gegeben hätte. Benson und Mike sind zwei homosexuelle Männer mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund. Der eine ist Afro-Amerikaner, der andere hat japanische Wurzeln. Benson ist sucht Stabilität, Mike will eine offene Beziehung und verschwindet gleich zu Beginn des Romans nach Japan, um seinen im Sterben begriffenen, entfremdeten Vater zu besuchen. Beide Männer haben familiär einige Dinge zu klären, unter anderem eben auch, ob sie zu zweit eine Familie sein können.

In einem Satz: Dinge, an die wir nicht glauben ist ein sprachlich überzeugender Text über postmoderne Lebenswelten.

Zur Rezension von Memorial / Dinge, an die wir nicht glauben

I Wished von Dennis Cooper

Pornografischer Schlachthof der Romantik: I Wished von Dennis CooperDennis Cooper tut sich in letzter Zeit eher als Filmemacher und Blogger hervor. I Wished ist seine erste Buchveröffentlichung in zehn Jahren und bedeutsam als Schlüsseltext im Gesamtwerk des Autors und als formales Experiment. Denn Cooper kehrt in diesem autofiktionalen Text zurück zu George Miles, der Inspiration seines berüchtigten George Miles-Zyklus. Einen Plot gibt es hier nicht wirklich und vieles fußt auf realen Gegebenheiten aus der Biografie des Autors, was durchaus zu der Frage führt: Ist der Paratext “Roman” hier Etikettenschwindel? I Wished ist ein schwer zu klassifizierender Text. Außer Frage steht jedoch, dass es eine vielschichtige Mediation über das Verhältnis zwischen Künstler und Kunstwerk, zwischen Kunst und Inspiration sowie über die Liebe an sich ist.

In einem Satz: I Wished ist ein faszinierender und berührender Text über die Kunst und die Liebe, der sich einfachen Klassifizierungen bewusst entzieht.

Zur Rezension von I Wished

Salonfähig von Elias Hirschl

Salonfähig von Elias HirschlDass hier nicht Kurzes Buch über Tobias steht, ist eine Frage der Relevanz. Vielleicht ist Kurzes Buch über Tobias für sich genommen ein formal interessanteres Buch. Aber das Österreich des Kanzler Kurz hat die Schreibenden der Alpenrepublik schwer beschäftigt und Salonfähig ist der beste Roman, der dazu in diesem Jahr erschienen ist. Elias Hirschl ließ sich hier von Bret Easton Ellis’ Klassiker American Psycho inspirieren, um den moralischen Bankrott der ÖVP um den vermeintlichen Strahlemann Sebastian Kurz messerscharf bloßzustellen.

In Salonfähig entlässt uns Hirschl in die Gedankenwelt seines namenlosen Erzählers, der besessen davon ist, wie der junge Kanzlerkandidat seiner Partei zu werden. Zwischen Twitter, Rhetoriktraining und Koksgelagen zeigt sich ein höchst instabiles, ethisch gesehen Werte-befreites Subjekt, das eigentlich nichts ist, außer seinem zügellosen Drang nach Anerkennung.

In einem Satz: Salonfähig ist das American Psycho für die Generation Kurz.

Zur Rezension von Salonfähig

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