Emma Clines Erzählband Daddy weckt schon ob des Titels gewisse Assoziationen. Es könnte um alte weiße Männer gehen, den männlichen Blick, Sex. Und daran orientieren sich auch die meisten Besprechungen, die bisher dazu erschienen sind. Die eigentlichen Texte sind jedoch weitaus vager und ambivalenter, als es der Titel vorgibt. Unaffektiert und schnörkellos erzählt Cline aus Momenten der Leben von Männern und Frauen, die wie zufällig herausgegriffen wirken.
Wenig an diesem Erzählband ist so prägnant wie sein Titel. Die zehn Texte in Daddy sind im Ruhepuls erzählt, Frauen und Männer halten sich dabei als Protagonisten ziemlich die Waage. Ein übergeordnetes Thema drängt sich dabei, anders als es der schlagwortige Titel suggeriet, nicht zwingend auf. Als Sammlung funktionieren der Band erstmal stilistisch. Präsentiert werden, oft ohne erkennbaren Spannungsbogen, Momentaufnahmen aus den Leben, deren Vergangenheit und Zukunft auch nach der Lektüre kaum zu erahnen bleiben, erzählt in oft eher kühler Distanz zum Geschehen. Das Bemerkenswerte an diesen sich eher wenig bemerkenswert lesenden Geschichten ist, dass Cline ihre Leser nicht weiter lenkt. Sie zeigt, erklärt nicht – die Erzählungen in Daddy bieten sich geradezu an als Projektionsflächen.
Angesiedelt sind sie in der weißen Mittelschicht Amerikas, mehrere spielen in Kalifornien. “Los Angeles” erzählt von Alice, die eigentlich Schauspielerin werden möchte, aber wie so viele andere mit ihrem Traum dann doch nur in einem Klamottenladen arbeitet, um sich über Wasser zu halten. Von ihrer Mutter bekommt sie Geld für Schauspielunterricht – aber nicht mehr lange:
Wie konnte man das erklären – wenn Alice keinen Unterricht nahm, wenn sie nicht anderweitig beschäftigt war, dann hieß das, ihr schrecklicher Job, ihre schreckliche Wohnung hatten plötzlich mehr Gewicht, fingen vielleicht an, eine Rolle zu spielen. Der Gedanke war zu schrecklich, um sich ihm zu stellen (48).
Alice befindet sich also in einem Moment in ihrem Leben, an dem die Blase ihrer eigenen Träume, in der sie sich durch ihr Leben bewegt, Platzen könnte. Sie entschließt sich dann, wie ihre jüngere Kollegin Oona eine andere Art der Fantasie zu verkaufen, indem sie Männern ihre getragenen Slips anbietet. Hier ist er also, der Male Gaze, der Alice auf ihre Sexualität reduziert, aber ihr erlaubt, noch etwas länger in einem Traum zu leben, der letztlich ebenso davon bestimmt ist – gesehen und bewundert werden.
Ganz ähnlich ist “Marion”, eine Erzählung, die in der Vergangenheit spielt und den Leser mit zu einer Kommune nimmt. Die Ich-Erzählerin berichtet hier von ihrer Freundin Marion, die in der Kommune lebt und bei der sie einige Zeit ohne Eltern bleiben muss. Marion ist gerade einmal 13 Jahre alt und hoch sexualisiert: “Männer starrten sie an, wenn sie diesen Bikini trug, und das gefiel ihr” (187). Die beiden finden Roman Polanski faszinierend – ein Hinweis auf die Zeit, in der der Text spielt und der vielleicht zeigen möchte, wie schon junge Teenager durch die sie umgebende Kultur dahin steuern, sich für den männlichen Blick attraktiv und zu machen und sich selbst durch diesen sehen.
Andere Texte, vor allem jene mit Männern im Fokus, sind weitaus ambivalenter. “Was macht man mit einem General” beschreibt eine Familienzusammenkunft, in der die Töchter distanziert vom Vater erscheinen. In dem Text passiert nicht viel, andeutungsweise wabern vergangene Aggressionen. Ist diesem Vater früher die Hand ausgerutscht? Kleine Momente deuten darauf hin, aber Cline erzählt nichts davon, die Vergangenheiten aller Charaktere in Daddy sind blasse Echos, die man sich selbst denken muss. Die Autorin lässt unbequeme Momente stehen, tatsächlich wirkt der Vater hier etwas verloren in seiner Verbindungslosigkeit zu den eigenen Kindern – die Welt hat ihn, möglicherweise zurecht, überholt und links liegen gelassen. Dieses Schicksal teilt er mit einigen anderen Männern in Daddy.
In anderen Geschichten besuchen wir die glanzlosen Sterne der Gesellschaft: In “Sohn von Friedman” besucht der alternder Filmemacher George zusammen mit einem berühmten Altschauspieler die Filmpremiere seines Sohnes – ein deprimierendes Ereignis, der Film ist schlecht und George steht auf dem Abstellgleis. In “Das Kindermädchen” hat sich Kayla in das Haus einer Freundin ihrer Mutter zurückgezogen, nachdem ihre Affäre mit einem berühmten Schauspieler aufgeflogen ist, dessen Kind sie eigentlich hüten sollte. Als sie sich vor Paparazzi versteckt, interessiert sie sich mehr für die Berichterstattung auf sozialen Medien als ihr Leben wirklich zu hinterfragen.
Die zehn Geschichten in Daddy lesen sich mit gespenstischer Ruhe, wenngleich jene mit Frauen im Fokus insgesamt lebhafter wirken. Cline gibt ihren Lesern maximalen Spielraum, eigene Deutung zum Gezeigten zu finden, droht in manchen Momenten dabei jedoch, zu vage und unterkühlt zu wirken, um den Leser wirklich zu animieren.
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Daddy ist bei Hanser erschienen.
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