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Das letzte Hurra der Beats: Little Boy von Lawrence Ferlinghetti

Little Boy von Lawrence FerlinghettiLawrence Ferlinghetti starb im Februar im Alter von 101 Jahren als letzter Vertreter der Beat Generation. Wenngleich er zumindest hierzulande nie die Bekanntheit von Ginsberg, Kerouac und Burroughs erreichte, ist er einer ihrer wichtigsten Figuren. Schließlich war der von ihm gegründete Buchladen City Lights Bookstore in San Francisco der Sammelpunkt der literarischen Avantgarde der 1950er Jahre. Der angeschlossene Verlag war es auch, der Ginsbergs legendäres Gedicht Howl verlegte. Ferlinghetti war selbst Dichter, sein zweiter Band A Coney Island of the Mind gilt als meistverkaufter Lyrikband aller Zeiten. Little Boy ist sein letztes Werk, ein autobiografischer Roman, der diese Bezeichnung aber schon nach wenigen Seiten sprengt.

Die Frage nach biografischem Schreiben stellte Jakob Nolte dieses Jahr auf wundersame Weise in seinem Buch über Tobias, das voll Imaginationslust auf Linearität pfiff. Little Boy von Lawrence Ferlinghetti ist nochmals eine gänzlich andere Kreatur: Selbst ihr relativ konventioneller Beginn schert schon etwas aus, denn diese Autobiografie ist, zumindest auf den ersten 15 Seiten, in der dritten Person erzählt. Chronologisch und leicht verständlich erfahren wir, dass der “Little Boy” Ferlinghetti von seiner Mutter abgegeben wurde, nachdem diese mit vier Kindern und einem toten Mann überfordert war. Eine Tante nahm sich seiner an, die irgendwann aber ebenfalls verschwand. Recht schnell, nach 15 Seiten schon, sind wir beim zweiten Weltkrieg und seinem darauf folgenden Studium an der Sorbonne in Paris, wo der Text zu einem 150 weitere Seiten andauernden Wirbensturm der Worte durch das 20. Jahrhundert aufbricht. Eine frei assoziativer Schwall ohne Interpunktion oder Kapitel, der einen den Kopf glühen lässt.

Die Biografie von Lawrence Ferlinghetti liest man besser anderswo, denn Little Boy ist so etwas das letzte Hurra der Beat Generation, voller Seitenhiebe gegen “corporate fascism” und “Tea Ass Eliot”. Atemlos, aufregend, verwirrend liest sich das. Man braucht schon selbst einen langen Atem, um sich durchzukämpfen. Es ist also weniger ein autobiografischer Roman als ein langes Prosagedicht im maximal befreiten Beat-style:

I want to be out in the green fields or on the high seas with Greenpeace or Chris Columbus discovering a symbolic India we have yet to find or even envision a river still to be found in the heart of America with Jack Kerouac and his merry band and not so merry at all that in fact quite the opposite in their imagined quest for you name it an America that no longer existed even as he embarked to find it with his crazy crew oh and it wasn’t just America they were looking for driven as they were by testosterone and the rage of living personified by one Neal Cassadyy the driven driver of their beat jalopy Cocksman and Adonis American antihero outlaw cowboy who would stop to do brave deeds and rescue a beautiful maiden as in all those old cowboy shoot ‘em-up Westerns only with Cassady his hotrod was his horse and he gunned it over the horizon but the only brave deeds he did were stealing cars in which to screw the maidens etc etc (59).

Ohne Punkt und mit nur wenigen Kommata geht es hier durch die Zeit, voller Erinnerungen an alte Weggefährten und jede Menge eingestreuter Beat-Philosophie. Ausschnitte wie der eben zitierte sind natürlich das Schmankerl für Fans der Beats, lässt Ferlinghetti hier doch durchblicken, dass die Beat Muse Cassady eigentlich nicht mehr als ein Testosteron gesteuerter Frauenheld war. Doch viele andere Passagen, man schafft es kaum mehr als eine halbe Stunde am Stück in diesem schmalen und doch irgendwie sehr langen Buch zu lesen, entgleiten einem, da hier die Gedanken und Erinnerungen kaum eingeordnet werden. Das ist schade und schön zugleich. Denn Ferlinghetti hatte eine zweifelsohne bewegte Geschichte, die schwierige Kindheit, gefolgt von seiner Zeit als Soldat, der auch beim D-Day dabei war, hin zu seiner Zeit in Paris und San Francisco – es muss eine faszinierendes Leben gewesen sein. Man kann es in der dargelegten Form aber kaum nachvollziehen, außer dass es in seiner literarischen Form zwar unheimlich aufregend, aber auch ziemlich anstrengend ist.

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