Pünktlich zur vollen Blüte des Frühlings startet im Deutschen Hygiene-Museum Dresden eine neue Sonderausstellung, die von Pflanzen und Menschen erzählt (nur konsequent, nachdem die Beziehung zwischen Mensch und Tier letztes Jahr aufgearbeitet wurde). Ein hochaktuelles Thema: Schon lange am Gären, erreicht der öffentliche Diskurs um den Klimawandel so langsam den Siedepunkt – die Fridays for Future Demonstrationen zeigen es an ebenso wie die Umfrageergebnisse der Grünen.
Bei der feierlichen Eröffnung Von Pflanzen und Menschen – Ein Streifzug über den grünen Planeten wurde es von den Rednern auch nicht versäumt, auf die freitäglichen Demonstrationen von Schülern zu verweisen und ihr Engagement zu loben – zu recht. Das Interesse an dem Thema ist auch in Dresden hoch – der Saal des DHMD war bis zum letzten Platz gepackt. Viele Gäste lauschten den Reden am 18. April im Stehen.
Der eigentlich ja blaue Planet Erde wird im öffentlichen Diskurs immer grüner. Wetterkapriolen und die Sorge um das weltweite Bienensterben sind untrügliche Zeichen dafür, dass etwas im Argen liegt. Der Fokus auf die Pflanzenwelt ist folgerichtig: Sie sind die Grundlage unseres Lebens – wir ernähren uns von Pflanzen, ebenso wie die Nutztiere, die in der Pfanne landen. Die Auseinandersetzung mit der Welt der Pflanzen ist also weitaus mehr als die Freizeitbeschäftigung von Hobby-Gärtnern. Sie sollte es zumindest sein.
Und wie wenig wir über die immer noch geheime Welt der Pflanzen wissen, dafür öffnet die Ausstellung die Augen. Nachdem der Direktor des DHMD, Prof. Klaus Vogel, in seiner gewohnt sympathisch-einnehmenden Weise das Publikum begrüßte und Dr. Eva-Maria Stange in ihrem etwas unbeholfenen Grußwort ein paar Statistiken präsentierte (in Deutschland werden pro Kopf 108 Euro für Pflanzen im Jahr ausgegeben, Handwerkszeug wie Hacken etc. nicht eingerechnet), hielt die Schweizer Wissenschaftsautorin Florianne Koechlin eine absolut fesselnde Keynote über die faszinierenden Kommunikationsfähigkeiten der Pflanzen. Sie stahl, um ehrlich zu sein, der eigentlichen Ausstellung sogar die Show. Das lag nicht nur an ihrer begeisternden, humorvollen Vortragsweise, sondern auch an ihren Inhalten, die Pflanzen aus der Wahrnehmung als passive Objekte befreite und sie in ein neues Licht als aktiv agierende, würdevolle Wesen rückte.
Wood Wide Web
Der Ausgangspunkt dafür ist so simpel wie einleuchtend: Als verwurzelte Lebewesen können Pflanzen nicht vor ungünstigen Umweltbedingungen fliehen. Neben Licht und Wasser sind es die kommunikativen Fähigkeiten und Sinneswahrnehmungen, die ihr überleben sichern. Über tausende Duftstoffe tauschen Pflanzen Informationen aus. Sie können den Speichel von Fressfeinden schmecken, sie reagieren sogar auf deren Kaugeräusche, und senden Stoffe aus, mit den sie nicht nur Artgenossen warnen können. Sie können auch Duftstoffe produzieren, die die Feinde ihrer Feinde anlocken. Pflanzen kommunizieren auch unterhalb der Grasnarbe artenübergreifend über Mykorrhizennetzwerke – das Wood Wide Web. Gar nicht mal so dumm. Das unterstreichen Experimente zur Lernfähigkeit von Pflanzen – ein Thema, dass auch in den Ausstellungsräumen aufgenommen wird.
Die Keynote war gewissermaßen ein Plädoyer für eine artgerechte Haltung von Nutzpflanzen, die in pestizitgeschützen Monokulturen ihre Fähigkeiten gar nicht mehr anbringen können. Ganz gleich ob man Koechlins Ausführungen zur Würde der Pflanzen folgen will, sollten die weitreichenden Folgen für das gesamte Ökosystem bereits Argument genug sein. Dem Leser dieser Zeilen sei empfohlen, Florianne Koechlin zu googeln. Man findet einige Videos von ihr im Netz.
Die Ausstellung selbst bietet die liebevolle und teils interaktive Gestaltung, die man inzwischen vom DHMD erwartet. Gegliedert in drei Ausstellungsräume, ist sie mit ihren vielen Exponaten allerdings etwas kleinteilig geraten. Jedes Objekt aufzunehmen bedarf also Ausdauer und eine Lesebrille. Ein geführter Ausstellungsbesuch sei daher empfohlen.
Der erste Raum hat etwas von einem Gemischtwarenladen: Der Besucher erfährt einiges zur Entstehung der Pflanzen, zu ihrer Taxonomie, zur aktuellen Forschung beispielsweise über die Lernfähigkeit und Intelligenz von Pflanzen sowie zu ihrer Bedeutung im Kontext kultureller Produktion (z.B. Musik, Mythologie). Auch ihre Symbolkraft findet Platz: Wer also jemandem “durch die Blume” mitteilen will, dass er einzigartig ist, schenkt dieser Person am besten eine Strilizie. Die Nebeneinanderstellung von eher naturwissenschaftlichen Objekten sowie der symbolischen Verwendung der Pflanzen im ersten Raum wirkt – wenngleich für sich genommen interessant – nicht ganz harmonisch. Anders ausgedrückt: Die Ausstellung verpasst es etwas, hier einen erzählerischen Bogen zu spannen.
Im zweiten, inhaltlich stimmigeren und mit “Saat und Ernte” überschriebenen Raum geht es um Pflanzen im Kontext kulturgeschichtlicher und damit auch wirtschaftlicher Produktion. Die Evolution des Weizens wird ebenso anschaulich gemacht wie die Bedeutung der Kartoffel. Auf die bewegte Geschichte von Hanf als Heilmittel, Kulturpflanze, verpönte Droge zurück zur in Apotheken erhältlichen Arznei wird ebenfalls eingegangen. Die Ausstellung wirft auch ein Licht auf die wirklich hässlichen Bemühungen von Konzernen (z.B. Nestlé), Pflanzenarten patentieren zu wollen (hier sind die Pflanzen ganz und gar würdelose Objekte).
Der dritte und letzte Raum führt in den Garten beziehungsweise zur Pflanzenwelt als unsere Lebensumgebung. Wie im DHMD üblich, lässt Von Pflanzen und Menschen die Besucher schauen, riechen und fühlen. Selbst die inneren Geräusche von Bäumen werden hörbar gemacht. Auch Mitnehmen ist erlaubt: Ausstellungsbesucher können Keimlinge der DDR-Kartoffelsorte Adretta eintüten. Laut Wikipedia ist diese Züchtung hervorragend zur Herstellung von Kartoffelpüree, Pomme Frites und Chips geeignet. Was will man mehr?
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Von Pflanzen und Menschen ist bis zum 19. April 2020 im DHMD zu sehen.