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Der böse Mensch von Lorenz Just [Kritik]

lorenz just der böse menschKurze Erzähltexte fristen ein eher stiefmütterliches Dasein in der hiesigen Literaturlandschaft. Erzählbände erscheinen bei großen Verlagen wenn überhaupt nur von etablierten Schriftstellern. Wenn ein Verlag wie Dumont mit Der böse Mensch den Erzählband eines Nachwuchstalents veröffentlicht, weckt das Neugier.

Ganz so jung und unbekannt ist Lorenz Just allerdings auch nicht. Laut seiner Vita hat der 1983 geborene Absolvent des Leipziger Literaturinstituts bereits ein Jugendbuch über den Islam, Mohammed: Das unbekannte Leben des Propheten, veröffentlicht. Der böse Mensch wird folglich als literarisches Debüt vermarktet. Diesem hat der Verlag oder der Autor selbst auch einen gut zu vermarktenden, programmatischen Titel gegeben. Nicht weniger als dem bösen Menschen sollen diese insgesamt 16 Erzählungen nachspüren. Die Idee, eine Art Konzept-Erzählband herauszugeben, ist natürlich interessant. Nach der Lektüre einiger Erzählungen bekommt man allerdings den Eindruck, dass nicht alle Texte mit Blick auf den thesenhaften Titel geschrieben wurden und dieser erst später gefunden wurde. Somit stellen sich Verlag und Autor letztlich selbst ein Bein – das Konzept geht nicht richtig auf.

Das allein sagt natürlich noch nichts über die Qualität der einzelnen Texte. „Die Bibliothek“ zeigt beispielsweise eine gute Beobachtungsgabe, mit der Just lebendige Szenen erschaffen kann. In der Erzählung – vielleicht die stärkste des gesamten Bandes – legt der Autor den Fokus auf den jungen Aufseher, der desillusioniert das Treiben um sich herum erduldet. Ganz besonders seine Vorgesetzte Frau Sperling sorgt für böse Momente. Ihr Sohn soll eine in den Lichtschacht des Gebäudes gefallene Ratte befreien. Sie selbst zeigt sich dabei als gehässige Antisemitin. Hier kommt Just dem Bösen durchaus nah.

Selbiges gilt auch für die Eröffnungsgeschichte, „Der Nachbar“. Dieser Nachbar erzählt dem Leser in der Badewanne liegend von seiner Vergangenheit in Afrika und seiner Gegenwart in einer deutschen Stadt. Nach wenigen Seiten entpuppt er sich als aus einem Bürgerkriegsgebiet geflohener Warlord, auf dessen geheißen Kinder erschossen und ganze Landstriche entvölkert wurden. Damit gelingt es dem Autor, mit Erwartungen zu brechen, den Flüchtling zum Fluchtverursacher zu machen. Gleichzeitig gibt die Erzählung dem Bösen einen menschlichen Anstrich, macht es im Sinne Hannah Arendts banal und kontextgebunden. Das ist vielleicht nicht unbedingt neu, aber wirkungsvoll. Dennoch hat die Erzählung einen Makel, der auch auf einen großen Teil der Sammlung zutrifft: Lorenz Just schreibt in einem sehr nüchternen, bildungsbürgerlichen Tonfall. Bei „Der Nachbar“ entgleitet ihm manchmal die Erzählstimme. So behauptet sein Warlord, nicht besonders klug zu sein. Auf der selben Seite lässt Just ihn dann aber diese poetische Selbstreflexion denken: „Inzwischen bin ich der Maskenträger geworden. Aber meine Maske ist neu gemacht, freundlich und höflich gezeichnet. Wenn ich in der Badewanne schwitze, schmilzt sie und tropft ins trübe Wasser ab.“

Beachtenswert an Der böse Mensch ist die große Variation an Erzählsituationen, die Just für seine Texte findet. Mal wird aus erster, mal aus dritter Person heraus erzählt. Dazu kommen Bildbeschreibungen, Tagebucheinträge, eine Familienchronik. Ohne Zweifel: Hier probiert sich jemand aus und versteht sein Handwerk. Leider unterläuft der oftmals unaufgeregte, geduldige, ja beinah behäbige Stil diese Variationen. Das ist schade: Dieser Erzählband ist eigentlich facettenreicher, als er letztlich wirkt.

Das eigentliche Problem ist aber die Facettenarmut hinsichtlich des Bösen: Durch das konkret benannte, übergeordnete Thema des Bandes geht der Leser durchaus „befangen“ an die Lektüre der einzelnen Texte und ist versucht, sie auch daran zu messen. Die Konzentration auf das Böse als übergeordnetes Thema verengt den Blick und oftmals sucht man nach etwas, das einfach nicht da ist oder herbei interpretiert werden muss. Klar gibt es sie, die Texte über das Böse und seine Ambivalenz. Der getragene, wertfreie Sound, in den viele dieser Geschichten gebettet sind, ist dem durchaus auch zuträglich. Zu nennen wäre hier „Liebes Kind“, einer Erzählung, in der ein Vater einen Brief an das abgetriebene, vermutlich behinderte Kind schreibt. Der Text stellt wertfrei die Frage nach dem Bösen. Nicht nur, ob die abtreibenden Eltern oder die Gesellschaft böse sind, sondern auch, ob es in dieser Erzählung überhaupt etwas „böses“ gibt – es drängt sich auf, ohne wirklich da zu sein. Dieser Balanceakt gelingt Just jedoch in nur wenigen Texten. In anderen wünscht man sich einfach mal einen flotteren Stil. Das Böse kann schließlich auch Spaß machen, unterhaltsam sein!

Letztlich bietet Der böse Mensch eine Handvoll wirklich gelungener Erzählungen. An der Stellung der Kurzgeschichte in Deutschland wird der Band wohl nichts ändern. Der Abstand zum Mutterland der Kurzprosa, wo Ottessa Moshfegh, Callan Wink oder Adam Johnson mit ihren letzten Sammlungen eine unbändige Lust am Erzählen und Originalität demonstrierten, bleibt unverändert groß. Wirklich schade, trotz guter Anlagen verspricht Der böse Mensch zu viel und ist an manchen Stellen einfach zu verkopft.

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Der Böse Mensch erschien als Hardcover im Schutzumschlag mit Lesebändchen im November bei Dumont

UPDATE: Zur Rezension von Lorenz Justs Debütroman Am Rand der Dächer.