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Block Magazin: Immer mit der Ruhe!

Block MagazinMan hört und liest es öfter: Print ist tot! Die Auflagen der großen Spieler sinken. Dennoch gibt es weit über hundert Magazine in Deutschland. Print ist eben Leidenschaft – und die schert sich nicht um Unkenrufe aus der digitalen Welt. Abseits des Mainstreams blühen die Papierlandschaften in kleiner Auflagenhöhe. Sie bieten kleine Häppchen der Entschleunigung, etwas zum blättern, dösen, entdecken, inspirieren lassen. Besonders viel Zeit lässt sich Block. Eine neue Ausgabe erscheint erst, wenn 1.300 Bestellungen eingegangen sind. Nach einem Jahr Warten ist Ausgabe 3 dieser Tage erschienen.

Mit dem Zeitschriftenbezug ist das ja so eine Sache. Man scheut sich vor Abonnements, diese Bindung, die man eingeht und man aus Gewohnheit sich stetig selbst zu verlängern erlaubt. Wenn aus dem Flirt mit einem Abo nichts Ernstes wird, wird das Papier im Kiosk eingesammelt. Das Block Magazin geht keinen dieser beiden Vertriebswege. Das Heft muss einzeln und im Voraus bestellt werden. Es gibt nur die 1.300 Exemplare, die zusammenkommen müssen, bis Block erscheint.

Wer sich für den Kauf entscheidet, muss allerdings eine Weile bis zur Lieferung warten. Man hat die Bestellung eigentlich schon längst vergessen, als sie dann doch – und es fühlt sich komischerweise plötzlich an – im Briefkasten liegt. Der monatliche Newsletter ist die einzige Erinnerung, dass da noch eine Bestellung offen ist und sich die Zahl der Vorbestellungen zäh nach oben schraubt. Man ist hin- und hergerissen zwischen Vorfreude und der Frage, wann die Herausgeberin Theresia Enzensberger aufgibt und ob die bereits bezahlten 12 Euro Heftpreis den Weg zurück aufs Konto finden.

Die Dauer, bis das Magazin die erforderliche Zahl von 1.300 Bestellungen erreichte, verlängerte sich von Ausgabe zu Ausgabe. Die erste ging nach vier Monaten in den Druck. Der zwischenzeitlich gewonnene Lead Award für die schönste neue Zeitschrift beförderte die Popularität allerdings nicht. Mehr als ein ganzes Jahr zog bis zur Veröffentlichung des nun vorliegenden Heftes ins Land. Doch Lesen ist ohnehin nichts für Ungeduldige und Aktualität nicht das Becken, in dem die Herausgeberin fischt. Die im Heft versammelten Texte, Grafiken und Fotografien sind weder thematisch noch zeitlich gebunden – ein Marketingalbtraum, wie Enzensberger im Editorial zur ersten Ausgabe schrieb. Aber:

Warum sollte es außer uns nicht noch mehr Leute geben, die keine Lust haben, an die Hand genommen oder ‚abgeholt‘ zu werden?

Neben Geduld ist also auch Mitdenken gefragt. Denn Lyrik, Essay und Prosa stehen hier ohne vorgeschobene Paratexte nebeneinander. Jeder Text ist, mit Ausnahme der Lyrik und eines dramatischen Stücks, im gleichen Layout gesetzt. Ob es sich um eine Reportage oder einen persönlichen Essay handelt, wird dem Leser erst nach einigen Absätzen wirklich klar. Das ist tatsächlich erfrischend. Unvoreingenommen erkundet der Leser das Magazin von Text zu Text.

Offenheit ist auch das thematische Prinzip: Ob Hochfrequenzhandel, Fernbeziehungen, Raketenstarts oder Migration, ohne Scheuklappen versammelt die Herausgeberin eine hohe Bandbreite an Themen. Interessant ist, was sich interessant liest. Migration und Identität, oft nah am Autoren erzählt, sind die am häufigsten wiederkehrenden Themen in dieser Sammlung, was vielleicht dem jungen Alter der Schreibenden geschuldet sein mag (die meisten sind in den 1980er Jahren geboren). Der Eröffnungstext „Crazy in Love“ von Hannah Black erzählt von der Liebe zum psychisch kranken Adoptivbruder, der nur schwer an der Gesellschaft teilhaben kann. Eingeflochten in ihren Bericht sind Bezüge zum Leben als schwarze Frau, der „Wahnvorstellungen“ aus dem Haus ihres Vaters bekannt sind, wo „junge Männer leidenschaftlich über weiße Teufel und schwarze Vorfahren dozierten.“ Im folgenden Text „Der Teufel“ schreibt Lena Gorelik von einer Nacht in Berlin und dem Flirt mit einem Mongolen. Die eigene Identität zwischen West- und Osteuropa spielt letztlich aber die Hauptrolle in diesem Text. Dabei gelingen ihr immer wieder Sätze, die den Leser kurz anhalten lassen, weil sie eine kleine Neuigkeit enthalten („Emotionale Erpressung nennen westliche Therapeuten was für Osteuropäer Muttermilch ist“).

Neben diesen Texten, die keinen aktuellen Referenzenrahmen brauchen, sind einige dennoch nah am Zeitgeschehen, darunter auch einer der stärksten Beiträge, „Jenseits des Guten“ von Emily Dische-Becker. Die Autorin umkreist in nüchterner, aber geschmeidig dahinfließender Sprache die Fluchtlingskrise in fünf Episoden und faltet dabei ein recht groteskes Panorama zwischen überfordertem Bamf-Sachbearbeiter, schwarzfahrendem Salafisten und profilierungssüchtiger Theatermacherin, die das Stück eines Syrers aufführen will, auf:

Der Dramatiker bemerkt, dass Enthusiasten genauso viele Klischees über fremde Kulturen hegen wie ihre Hasser.

Die Mehrzahl der Texte sind Essays oder kurze Reportagen, oft mit einem persönlichen Auge beobachtet und stimmungsvoll erzählt. Dabei ist auch Platz für Abwegiges der Kategorie „ganz nett“ wie „Wirtschaft ‚Freier Markt’“, in dem die Autorin Nadja Siebzehnrübl ein paar von Ronald Reagan gern gegessene Rezepte vorstellt. Unter den literarischen Texten ist „Lessons of Leaking“ vom hildesheimer Medientheaterkollektiv machina eX hervorzuheben, von dem ein Auszug aus einem interaktiven, dystopischen Stück zu lesen ist. Darin lässt 2021 eine rechtspopulistische Kanzlerin über Deutschlands EU-Zugehörigkeit abstimmen. Doch die Software, mit der die Wahl durchgeführt wird, ist manipuliert, eine Whistleblowerin will alles auffliegen lassen. In zwei Erzählsträngen kann das Publikum bzw. der Leser entscheiden, wie die Geschichte weitergeht.

Auch die Aufmachung ist stark. Das Papier ist so dick, dass es fast schon als Pappe durchgehen würde, die Schrift ist angenehm groß und wurde eigens für Block entwickelt. Selbst Brillenträger mit verlegter Sehhilfe verlieren also nicht den Durchblick. Die Fotografien und Illustrationen sind auf dünnerem, schneeweißen Hochglanzpapier gedruckt und geben dem Tastsinn Abwechslung. Es macht Spaß, das Magazin durchzublättern. Bleibt zu hoffen, dass der Welt auch eine vierte Ausgabe vergönnt ist. Aber das entscheiden die Leser: Ausgabe 4 kann ab sofort vorbestellt werden.