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Mein Leben unter den Großen von Madame Nielsen

Mein Leben unter den Großen von Madame NielsenIst das ein Roman, autobiographische Essays, Memoiren? Es ist auf jeden Fall irgendwie autofiktion, Fakt und Fiktion geben sich in Madame Nielsens Mein Leben unter den Großen die Hand. Ursprünglich 2013 in Dänemark erschienen, wurde der Text von Hannes Langendörfer übersetzt und ist seit Kurzem bei Kiepenheuer & Witsch erhältlich. Es ist ein sonderbares Buch, in dem Madame Nielsen aus einer Zeit berichtet, in der sie noch mit männlicher Identität und ziemlich mittellos in Kopenhagen den großen zeitgenössischen Literaten Dänemarks begegnete. Da Hans Christian Andersen, der natürlich trotzdem durch den Text geistert, schon lange tot war, werden die Meisten davon dem deutschen Leser wohl eher unbekannt sein – ein Vergnügen ist Mein Leben unter den Großen trotzdem.

Und das liegt natürlich daran, dass Madame Nielsen selbst eine der ganz Großen in der zeitgenössischen dänischen Literatur ist (man lese nur Lamento). Ihre Bücher sind ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt worden. Mein Leben unter den Großen ist für die Uneingeweihten allerdings nicht unbedingt der beste Startpunkt, um ins Werk dieser Autorin, Musikerin und Performance-Künstlern einzutauchen. Zwar trifft hier ein reicher Wortschatz auf einen ironischen bis sarkastischen, stets süffisanten Ton, doch fehlt etwas die stringente Handlung. Die Erzählsituation ist ungewöhnlich: Der Text wird aus einem Punkt in der Vergangenheit heraus erzählt, enthält dann Rückblenden und Blicke in die Zukunft (die freilich schon vergangen ist). Wenn man Mein Leben unter den Großen als Roman bezeichnen möchte, dann ist dieser sehr episodisch gehalten. Strukturiert ist er nach den Begegnungen – die vielleicht tatsächlich so passiert sind (wer will das schon prüfen?) – mit anderen Schriftstellern. Doch diese Begegnungen nehmen in den Kapiteln nicht immer die Hauptrolle ein, sind oft ein Sprungbrett für assoziative Schwenker in das Leben Nielsens – die bekanntlich gern mit Identität spielt. Manch Bekanntschaft ist eher flüchtiger Natur, mal ganz zufällig, mal in formellem Rahmen, gern skurril. Und da dem Leser die begegneten Autoren eventuell ebenso unbekannt sein mögen wie die Biografie der Autorin selbst, kann Mein Leben unter den Großen durchaus verworren wirken. Es ist aber auch ein großer Spaß. Versprochen.

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Mein Leben unter den Großen von Madame Nielsen ist bei KiWi erschienen.

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