Man soll ein Buch ja nicht nach seinem Umschlag bewerten. Versuchen wir es trotzdem: Den Erzählband Weiter atmen von Zsófia Bán ziert Attila Szücs Gemälde Mann badet einen Löwen. Es wirkt etwas unscharf, putzig und dunkel zugleich. Verspielt, intim, absurd und unergründlich sind Adjektive, die mir durch den Kopf gegeneinander purzeln – und das ist dann auch eine ziemlich akkurate wenn auch wohl etwas uneindeutige Beschreibung meines Leseerlebnisses.
Entwurzelt: Monster wie wir von Ulrike Almut Sandig
Oh weh, ostdeutsche Pampa steht da im Klappentext und auf der Buchrückseite von Ulrike Almut Sandigs Romandebüt Monster wie wir. Da kullern einem doch schnell viele Klischees durch die Birne. Aber Monster wie wir ist gar nicht so zwingend ein Roman über Ostdeutschland oder blühende Landschaften, die nie übers Keimstadium hinaus kamen – zumindest nicht vordergründig. Eigentlich geht es um Menschen, die kein Zuhause haben – ein Zuhause, das Geborgenheit bedeutet.
Selbstbestimmt oder verrückt? Die Wahnsinnige von Alexa Hennig von Lange
Alexa Hennig von Langes neuer Roman Die Wahnsinnige beleuchtet das Leben einer Königin ohne Macht: Johanna von Kastiliens impulsiver Drang nach Selbstbestimmung kollidierte mit den Machtstrukturen ihrer Gesellschaft und brachte ihr den Beinamen “die Wahnsinnige” ein. Mehr als an der Schilderung historischer Fakten ist Alexa Hennig von Lange an der zeitgemäßen Frage interessiert, wie viel Selbstbestimmung eigentlich möglich ist.
Der Putz bröckelt: Sh*tshow von Richard Russo
Was ist nur los in Amerika? Am Morgen nach den Wahlen laden die Pensionäre David und Ellie zwei lang befreundete Eheleute ein – “das Bedürfnis nach tröstender Gesellschaft” bringt sie dazu (7). Vor allem Ellies “Wahlabendkater” ist schlimm – eine fundamentale Verunsicherung frisst sich in ihr Leben. Sh*tshow von Richard Russo ist eine kurze Novelle, die leichtfüßig von einem gespaltenen Amerika erzählt.
Konzert-Abend beim Palais Sommer 2020
Was wäre der Dresdner Sommer ohne den Palais Sommer? Lauschige Abende voller Entdeckungen in Dresdens schönstem Freiluftsalon gehören zur Jahreszeit wie die Fahrt zum Strand. Schön, dass Corona wenigstens diesem Festival keinen Strich durch die Rechnung gemacht hat – wenngleich in diesem Jahr nur 1.000 Besucher je Veranstaltung zugelassen sind. Am Konzept hat sich wenig geändert – Klavierabende, Konzerte, Filme, Yoga und andere Schöngeistigkeiten stehen noch bis Ende August im Programm.
Wrong (A Critical Biography of Dennis Cooper) von Diarmuid Hester
Lyriker, Romancier, Dramaturg, Herausgeber, Blogger, Filmemacher: Der heute 67-jährige Dennis Cooper hat ein umfassendes Werk hervorgebracht, das nach wie vor in Entwicklung ist. Ende Juni erschien ein neues “GIF novel” (Zac’s Drug Binge [Vorsicht!]), ein zehnter, womöglich letzter Roman (I Wished) wurde für 2021 angekündigt. Cooper ist ein bewunderter oder verachteter, zweifelsfrei ein nachhaltig die Literatur beeinflussender und in seiner künstlerischen Vision absolut kompromissloser Schriftsteller. Behandelt wurde sein Werk in der Wissenschaft bisher aber nur in Aufsätzen. Jetzt – endlich – verlegt die University of Iowa Press die kritische Biografie Wrong, das Ergebnis einer eine Dekade dauernden Recherche von Diarmuid Hester.
Verrückt, wozu der Geist fähig ist: Death in Her Hands von Ottessa Moshfegh
Es ist kein Geheimnis auf diesen Seiten, dass ich Ottessa Moshfegh für eine der besten Schriftstellerinnen ihrer Generation halte. Homesick for Another World ist einer der besten Erzählbände dieses Jahrzehnts, ihr letzter Roman My Year of Rest and Relaxation schaffte es in meine Top 3 des Jahres 2018. Nun folgt mit Death in Her Hands ihr dritter Roman und er bestätigt das große Versprechen ihrer ersten Veröffentlichungen. Auf Ottessa kann man sich verlassen – klug, fantasievoll, unterhaltsam. Einfach gut!
“Wir tranken. Dann tranken wir noch was”: Alles muss ganz anders werden von Jörg Fauser
Jörg Fauser hatte gerade die Feier zu seinem 43. Geburtstag verlassen, als er in den frühen Morgenstunden des 17. Juli 1987 auf der A 94 tödlich verunglückte. Alkohol, frühe Morgenstunden, Unglück – das passt zu seinen zwischen 1975 und 1979 entstandenen Erzählungen, die jetzt gesammelt unter dem durchaus programmatisch zu verstehenden Titel Alles muss ganz anders werden bei Diogenes erschienen sind. Es ist eine Neuvorstellung eines Autors, der heute kaum noch geläufig ist, aber sicher Spuren in der deutschsprachigen Literatur hinterließ, beispielsweise als Vorbild für Schriftsteller wie Benjamin von Stuckrad-Barre.
Es geht um die Wurst: Future Food im DHMD
Eigentlich sollte sie ja bereits im März feierlich eröffnet werden, doch die Zukunft des Essens musste coronabedingt auf sich warten lassen: Future Food ist die neue Sonderausstellung des Deutschen Hygiene Museums Dresden (DHMD) und macht wie für die Institution üblich ein Alltagsthema anschaulich. Dass die Frage, wie wir uns künftig ernähren wollen, dringlich ist, zeigt die aktuelle Diskussion um die industrielle Fleischproduktion in diesem Lande – wenngleich man eher überrascht sein kann, dass die prekären Zustände für manch politisch Handelnden überraschend sind.
Wildes Treiben in der Vor-Vorstadt: Morgengrauen von Philippe Djian
Joan hat vor zwei Wochen ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Jetzt zieht sie aus der Stadt zurück in das Elternhaus, wo ihr autistischer Bruder Marlon noch wohnt. Dramatisch wird es, als ein ehemaliger Liebhaber ihrer Mutter, Howard, für Aufregung sorgt. Morgengrauen ist ein rasanter Roman für einen Nachmittag am Strand.