Gine Cornelia Pedersens Debütroman Null wird vom Luftschacht Verlag als “poetisch-explosive Tirade” vermarktet. Es ist eine treffende Beschreibung: Hier lässt ein zügelloses Ich seinen Gedanken und Emotionen freien Lauf. Es ist ein erfrischender Coming of Age Text aus Norwegen, der die Klasse seines offensichtlichen Vorbilds Noah Cicero (The Human War) allerdings nicht ganz erreicht.
Was uns durch die Nacht trägt: Toronto von Kenneth Bonert
“Was uns durch die Nacht trägt” ist der Untertitel zu Kenneth Bonerts hervorragendem Erzählband Toronto und er gibt viel Preis von der unterschwelligen Stimmung, die diese vier Texte beseelt. Neben Menschen, die in Begegnungen Veränderung finden und Halt suchen, ist die kosmopolitische Stadt Toronto der eigentliche Protagonist des Bandes. Es ist eine Stadt mit eisigen Wintern, bevölkert von Zugezogenen, die sich finden und verlieren.
Nach dem Ruin: Harrow von Joy Williams
Ein literarisches Großereignis: Mit Harrow veröffentlicht Joy Williams – mehrfach ausgezeichnete Königen der zeitgenössischen Kurzprosa – ihren ersten Roman seit zwei Jahrzehnten. Es ist ein nicht einfach zu durchdringender Text, der irgendwann in einer näheren Zukunft spielt, in der die Erde völlig ruiniert wurde.
Bücherjahr 2021: Meine drei Favoriten
Wieder ein Jahr rum, und wie das vorhergehende so ziemlich im Griff der Pandemie: Man lebt eigentlich nur noch in Frühling und Sommer. Weggesperrt in harten, soften oder halb-Lockdowns lässt es sich aber prächtig lesen. Und es war ein gutes Bücherjahr 2021. Es auf drei Titel herunterzubrechen ist ein schwieriges Unterfangen. Wie im letzten Jahr auch machten wieder drei Romane das Rennen.
Die Qualen des Menschen: Heaven von Mieko Kawakami
“Mein leben glich dem stillen Dasein eines Möbelstücks”: Der 14-jährige Ich-Erzähler aus Mieko Kawakamis Roman Heaven beschreibt so sein Leben zuhause (59). In der Schule ist er eher Boxsack, der von seinen Mitschülern gequält wird. Erst als er einen Brief in seinem Federmäppchen findet, schimmert etwas Licht in seinem tristen Alltag. Wird am Ende der Qualen etwas Himmlisches warten?
Blutige Fabel des Erwachsenwerdens: Wenn ich jetzt nicht weine von Oisin Curran
Erwachsenwerden ist nicht einfach, schon gar nicht, wenn man 1980 in einem buddhistischen Kult groß wird und die Mutter schwer erkrankt. Der elfjährige Erzähler in Oisin Currans Roman Wenn ich jetzt nicht weine wird darüber hinaus von Visionen eines vermeintlich früheren Lebens geplagt. Es ist eine Mischung aus Coming of Age und Jules Verne Roman, ein faszinierender, phantasievoller Text, der seine Geheimnisse nicht ohne Weiteres preisgibt.
Rauschen im Club: Vessel von Sa-Pa
Geheimnisvoll, entrückt, knisternd, eigen: Die Musik des Produzenten Sa-Pa ist unverwechselbar und brodelt im Spannungsfeld zwischen sperrig und faszinierend. Man erinnert sich eher an eine Atmosphäre denn an einen Rhythmus oder eine Melodie, nachdem man einen Track von ihm gehört hat. Seine LPs gleichen Soundtracks für Blade Runner-esque Filme, die nie gedreht wurden. Die neue EP Vessel bleibt seinem verrauschten Dub-Techno-Sound treu, ist im Gegensatz zu den vorherigen Veröffentlichungen aber mächtiger im Sound und bei minimaler Beleuchtung fast schon tanzbar.
Ein Gespräch mit Verleger Jürgen Lagger über Dennis Cooper und die Suche nach der Wahrheit
Der amerikanische Autor Dennis Cooper gilt als legitimer geistiger Erbe transgressiver Meister wie Marquis de Sade oder Jean Genet und erfreut sich einer treuen Gefolgschaft. Formal und inhaltlich kann man ihn ohne Übertreibung zu einem der mutigsten Schriftsteller der Gegenwart zählen. Geradezu schockierend ist aber, dass ein Großteil seines Werks bis vor Kurzem unübersetzt blieb. Bis der Wiener Luftschacht Verlag sich der Sache annahm. Zur Veröffentlichung von Die Schlampen habe ich mich mit dem Verleger Jürgen Lagger über das faszinierende Werk Coopers unterhalten.
Frei leben: Der perfekte Kreis von Benjamin Myers
“Nähre den Mythos und strebe nach Schönheit”, so lautet das Motto von Redbone und seinem Kumpel Calvert, zwei Männer mittleren Alters, die die Wochenenden des englischen Sommers damit zubringen, riesige Kornkreise zu erschaffen. Benjamin Myers Roman Der perfekte Kreis ist ein Buch über Freundschaft, Schaffenslust, Natur und das freie Leben.
Träume von Freiheit: Romantik in Russland und Deutschland im Albertinum
Freiheit ist wieder ein stärker umkämpfter Begriff, seit uns coronabedingt Einschränkungen dieser im Alltag spürbarer begleiten. Die reine Freiheit gibt es freilich nicht seit der Mensch in Gesellschaften lebt. Die eigene Freiheit hört schließlich dort auf, wo sie die des nächsten beschränkt. Man gibt ein bisschen Freiheit und bekommt ein bisschen Sicherheit, ist die nüchterne Betrachtungsweise. Vorstellungen von Freiheit wandeln sich selbstredend und auch davon zeugt unter anderem die neue Sonderausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Albertinum unter dem Titel Träume von Freiheit: Romantik in Russland und Deutschland, die vordergründig natürlich traumhafte Landschaften getaucht in Farben der Sehnsucht und Melancholie zeigt.