Die Geschichte des Klangs von Ben Shattuck ist ein schmales Buch von gerade einmal 100 Seiten, das ohne Paratext versehen ist. Ist es eine Novelle oder sind es zwei miteinander verwobene Erzählungen, die eine das Echo der anderen? Im Zentrum steht eine kurze Romanze zwischen Lionel und David, die sich im Nordosten der USA des frühen 20. Jahrhunderts entwickelte und verlor.
Zweiter Frühling: Strandgut von Benjamin Myers
Buckys siebzigjährige Knochen schmerzen. So sehr, dass er von Opiaten abhängig ist. Die goldene Stunde, in der er genug Pillen intus hat, in der mal alles gut erscheint, ist scheinbar alles, was ihm im Leben noch bleibt. Vor einem Jahr hat er seine Frau an Krebs verloren. Doch solange man lebt, öffnet das Leben immer wieder neue Türen. Man muss nur hindurchgehen. Und genau das macht Bucky in Benjamin Myers’ neuem Roman Strandgut: Er wurde ins englische Scarborough eingeladen, um zu singen.
Ein Vogel möcht ich sein: Psychopompos von Amélie Nothomb
Auf Amélie Nothomb ist Verlass: Wie ein Uhrwerk veröffentlicht sie beinahe im Jahresrhythmus kurze Romane mit selten mehr als 200 Seiten. Mehr braucht sie nicht, destilliert ihre oft ganze Lebensgeschichten umfassenden Erzählungen auf ihre Essenz. Mit Psychopompos legt sie nun einen kurzen, autobiografischen Roman vor – ihr vielleicht persönlichstes Werk. Schließlich ist sie die Protagonistin. In Psychopompos geht es um ihr Aufwachsen als Diplomatentochter, die in Vögeln so etwas wie ihre Seelenverwandten findet und über sie zum Schreiben kommt.
Scrollen, Schauen, Scheitern: Atavists von Lydia Millet
Lydia Millet präsentiert mit Atavists eine unterhaltsame Sammlung miteinander verbundener Stories, die Lesende in die Metropolregion Los Angeles mitnehmen. Atavismus, so erklärt es der Umschlagtext, ist ein Begriff aus der Botanik, der das Wiederauftreten von Merkmalen bezeichnet, die bei früheren Evolutionsstufen einer Art vorhanden, aber in den direkten Vorgängergenerationen nicht mehr ausgeprägt waren. Es handelt sich also um eine Art Rückfall. Atavists ist freilich kein botanisches Sachbuch, sondern literarische Fiktion, deren Protagonisten überfordert sind mit der zeitgenössischen amerikanischen Kultur.
Wenn Elefanten Politik machen: Das Geschenk von Gaea Schoeters
Das Geschenk von Gaea Schoeters löst das große Versprechen ein, das ihr viel besprochenes Debüt Trophäe machte. Das Geschenk nimmt die Themen des Vorgängers – Zivilisation und Naturschutz, Postkolonialismus, Maskulinität – auf und entwickelt sie weiter zu einer erschütternden Diagnose zur Demokratie in westlichen Gesellschaften. Der Roman ist eine hintersinnige Politiksatire, in der sich ein machtpolitisch taktierender deutscher Kanzler mit einem erstaunlichen Problem auseinandersetzen muss: 20.000 afrikanische Elefanten tauchen plötzlich in der Hauptstadt auf.
Ostrale Biennale 025: Never Grey
Seit vielen Jahren konnte man nicht mehr mit einem derart leichten Gefühl durch die Ostrale flanieren: Lange Zeit war schließlich nicht sicher, ob sie auch weiterhin ein verlässliches Zuhause in Dresden haben wird. Doch etwa zur gleichen Zeit wie zur Eröffnung der Ostrale Biennale 025 kam endlich die gute Nachricht: Die Robotron-Kantine ist als Standort für zeitgenössische Kunst gesichert. Das Bangen ist graue Vergangenheit.
Freiheit: Eine unvollendete Geschichte im DHMD
Ob The Hoff immer noch nach der Freiheit sucht? Der Titel der neuen Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden legt es nahe. Freiheit: Eine unvollendete Geschichte im DHMD macht deutlich, dass Freiheit kein permanenter Zustand ist – eher etwas, nach dem man strebt. Ein beständiges Werden. Das Konzept Freiheit ist auch, wie Annekatrin Klepsch in ihren Grußworten zur Ausstellungseröffnung am 19. Juni herausstellt, wandelbar – „vom Sehnsuchtsgefühl zu umstrittenem Begriff.“
Überwuchert: Stammzellen von Alina Lindermuth
In Alina Lindermuths neuem Roman Stammzellen hat eine weltumspannende Gesundheitskrise alles im Griff: Die Dendrose genannte Erkrankung lässt die Betroffenen binnen Monaten zu Bäumen werden. In Stammzellen begleiten wir Ronja, Notfallärztin und ehrenamtliche Dendrose-Beraterin, über ein Jahr in ihrem Leben. Neben einem symptomatischen Kribbeln in den Zehen ist da eine sich entwickelnde Beziehung zu Elio: Welche Form der Verwurzelung begleiten wir hier?
Die Verzweiflung des Subjekts: Rejection von Tony Tulathimutte
Mit Rejection legt der Amerikaner Tony Tulathimutte einen hoch literarischen, rauschhaft lesbaren Text vor, der die Grenzen zwischen Erzählband und Roman verwischt. Rejection ist Fiktion nah am Zeitgeschehen aus längeren, miteinander verbundenen, aber autark funktionierenden Erzählungen. Die nach Anerkennung dürstenden und in ihrer eigenen Subjektivität gefangene Protagonisten werden in den brisanten Diskursen unserer digitalen Gesellschaft platziert – und zerbrechen daran. Zwischen Fremdscham, Unbehagen und absurdem Amusement zirkulieren diese Texte, um in einer Meditation über Fiktion zu kulminieren.
Die Welt entglitt ihm: Crazy Land von Timotheus Ueberall
Crazy Land von Timotheus Ueberall ist ein beinahe fiebriger Text, in dem Protagonist Aki und Setting Wien in einen psychotischen Zustand abgleiten. Ueberall lässt das Politische und Persönliche parallel laufen, sich überkreuzen, ohne es für den Leser zu ordnen, zu entwirren. Es ist ein Abstieg in den Wahnsinn einer haltlosen Gegenwart.