Thoroughbreds ist ein aus der Pferdezucht bekannter Begriff, der auf die Reinrassigkeit der Tiere verweisen soll. Übertragen lässt sich das auch auf die geschlossene Gesellschaft, die der Film Thoroughbreds, deutsch Vollblüter, abbildet: Angesiedelt in einem noblen Vorort in Connecticut, bestimmt das Anspruchsdenken der Elite das Geschehen in emotional entleerten Heimen.
Vollblüter ist also kein Pferdefilm, wenngleich das Pferd als Tier mit großer Symbolkraft für die USA durchaus eine Rolle spielt. Genau darauf kommen die beiden Hauptcharaktere Lily (Anya Taylor-Joy) und Amanda (Olivia Cooke), beide in der High School, zu sprechen, als Lily Amanda zu Beginn des Films Nachhilfe gibt und diese daraufhin ins Stocken gerät: Denn Amanda hat einige Monate vorher ihr eigenes Reinblut getötet und ist seitdem eine Aussätzige. Lily – die eigentlich kein Geld nötig hat, aber wer hat schon jemals genug? – wurde von Amandas Mutter durch eine Geldspritze in Höhe von 200 Dollar dazu überredet, dem Treffen zuzustimmen.
Lily entschuldigt sich dafür, überhaupt auf das Wort Pferd zu sprechen zu kommen, weil Amanda am Boden zerstört sein müsse. Diese verneint: Sie empfindet nichts. Sie ist nicht einfach nur taub – sie hat eine Störung, durch die ihr Gehirn keine Emotionen verarbeiten kann. Damit ist sie Lily gar nicht so unähnlich, obwohl sie durchaus etwas empfindet: sie fühlt sich zurückgesetzt, unwillkommen. Sie fühlt sich nicht genug beachtet. Denn seit dem Tod des Vaters hat ihre Mutter eine neue Liebe gewonnen und Schwiegervater Mark (Paul Sparks) ist kein angenehmer Mitbewohner. Er macht keinen Hehl daraus, dass er nicht viel von ihr hält und möchte sie in ein Internat abschieben.
Auch Amanda entgeht die Verachtung zwischen beiden nicht. Sein Ton ist herrschend und entsprechend wird er von der Kamera von unten aufgenommen. In Bild und Ton wirkt das Leben in Lilys Haus trotz des Reichtums bedrückend. Könnten da noch weitere Abgründe lauern? Oder ist Lily einfach nur genervt, weil sich nicht mehr alles um sie dreht? Es sind Fragen wie diese, die den Zuschauer involviert halten, wenngleich die Vermutung nahe liegt, dass sie Regisseur und Autor Cory Finley gar nicht so wichtig sind. Lily findet jedenfalls Gefallen an Amandas unverblümter, entwaffnender Art – auch als diese den Gedanken äußert, Mark einfach aus dem Weg zu räumen.
Cory Finley hat seinem Debütfilm eine wahrlich unheimliche Atmosphäre gegeben. Die Kamera fährt diese luxuriösen, elegant eingerichteten Häuser ab, taucht sie aber in ein dunkles Licht und entblößt einen Prunk, der außer auf seinen materiellen Wert auf nichts verweist. Diese großen Villen wirken gespenstisch leer und vom ersten Moment an liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Der bedrohlich brummende Soundtrack von Erik Friedlander verstärkt den Effekt, sodass man sich durchaus in einem Horrorfilm wähnen könnte. Tatsächlich ist Thoroughbreds eher als Thriller mit satirischen Zügen einzuordnen.
Zuweilen wirkt Vollblüter wie die Verfilmung eines Bret Easton Ellis Romans, den es nie gab: Cory Finley entführt den Zuschauer ganz und gar in die Seifenblase, in der diese privilegierten Teenager leben und durch diese bereits so abgestumpft sind, dass sie außer verletztem Stolz kaum noch etwas empfinden. Das Pferd, das in der Eröffnungssequenz dieses Filmes stirbt, ist ein Symbol für den amerikanischen Traum und sein Versprechen nach Selbstverwirklichung in einem freien Land. Vollblüter bildet auf unterhaltsame und originelle Weise die Pervertierung dieses Versprechens ab, indem es eine Gesellschaft zeigt, die sich bereits alles genommen hat. Cory Finley ist damit ein bemerkenswertes Debüt gelungen, das dank seiner Bildkraft und natürlich auch der zwei hervorragenden Hauptdarstellerinnen bis zur letzten Minute wahrlich fesselnd ist.
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Vollblüter ist ab dem 8. August 2018 in deutschen Kinos zu sehen.