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Unerträgliche Leichtigkeit: Alles was lebt von Kristina Schilke

Alles was lebt von Kristina SchilkeKristina Schilkes Episodenroman Alles was lebt bringt uns in den Bayerischen Wald, wo Klara im Haus ihrer verstorbenen Eltern eine unheimliche Entdeckung macht: In einem Zimmer scheinen die Naturgesetze nicht zu gelten. Sobald man ihn betritt, beginnt man zu schweben. In der Folge begegnen wir weiteren Personen, die auf die eine oder andere Weise mit Klara verbunden sind und allesamt mit den Fallstricken des Lebens hadern.

Während Klara das Gefühl der Schwerelosigkeit zu Hause haben kann, ist es dem örtlichen Kaplan nicht gegeben. Den hat sie ins Haus bestellt, um es zu segnen – vielleicht liegt hier die Ursache des seltsamen Zimmers. Dessen Geheimnis offenbart sie ihm allerdings nicht. Er hätte vielleicht gefallen daran: Er will das Fliegen lernen. Er driftet aus der Erzählung wie andere Figuren, die mit jedem Kapitel eingeführt werden und deren Verbindungen zur Protagonistin nicht immer klar sind. Sie lesen sich oft wie in medias res beginnende Kurzgeschichten, die nach und nach einen Zusammenhang enthüllen. Beispielsweise ist da Lisa, Klaras beste Freundin, die desillusioniert vom Leben in eine Alkoholsucht gerutscht ist. Dann gibt es noch Frau Rührlich, die ihren hundertsten Geburtstag feiert. Während der Feierlichkeit begegnet Klara David, einem in Scheidung lebenden Lehrer, in den sie sich verliebt.

Gewohnheiten, Süchte, Angewohnheiten, die uns vom Alltagsschrecken des Lebens ablenken: Ob es der Wunsch, zu Fliegen ist, ein magisches Zimmer der Schwerelosigkeit, die Liebe oder der Alkohol: Früher oder später hat jeder sein Päckchen zu tragen. Die Ablenkung, die man sucht, kann dann zum Problem selbst werden. Die Schwerelosigkeit ihres Zimmers ist etwas, das Klara verschweigt, nicht teilen möchte. Es gibt ihr ein Gefühl, nach dem sie süchtig wird. Versprechen von Leichtigkeit, die einen Ausweg aus einem eng empfundenen Leben versprechen: Das Leben kann man leicht nehmen, leicht ist es aber selten. Es ist ein komplexes Geflecht, dessen Verbindungen – das macht die Struktur von Alles was lebt deutlich – nicht immer offen liegen.

Kristina Schilkes Roman ist ein ambitioniertes Werk, das ein gesellschaftliches Panorama entwirft und mit Elementen des magischen Realismus verwebt. Man hat aber auch das Gefühl, dass sie das Potential ihres Projektes nicht völlig ausschöpft: Das Element des magischen Realismus bleibt auf die Protagonistin und ihr schwereloses Zimmer beschränkt. Entsprechend gerät es ob der episodenhaften Struktur mit unterschiedlichen Fokalisierungen über lange Strecken des Romans beinahe in Vergessenheit. Ebenfalls neigt die Erzählungen zu sprachlichen Redundanzen, beispielsweise wenn beschreiben wird, dass eine Figur noch nie in den USA, geschweige denn New York war.

Alles was lebt ist ein interessanter, nachdenklicher, aber auch humorvoller Text, der trotz kleinerer Schwächen lesenswert ist.

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Alles was lebt von Kristina Schilke ist im Gans Verlag erschienen.

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