In Die Trauer der Tangente von Fabian Saul kommt der Erzähler nach Berlin, um sich zu verabschieden. Er kommt zu spät: Der einstige Weggefährte stirbt ohne Gelegenheit eines Abschieds. Die Erzählung fragmentiert. Die Trauer der Tangente springt zwischen Orten, Zitaten, Zeiten, umkreist und vermeidet im Versuch, zu berühren. Es ist Herzensangelegenheit und Kopfgeburt zugleich.
Die Trauer der Tangente ist ein nicht-narrativer Roman, der durch seine sprunghaft-fragmentarische Organisation und die Wiederholung von Schlüsselsätzen an eine Traumaerzählung erinnert. Das Trauma in ihrem Kern, der Verlust einer geliebten Person, umkreist der Text assoziativ. Von Schauplatz zu Schauplatz springt der Text, oft ohne vordergründigen Bezug zur zwischenmenschlichen Tragödie, in der der Text seinen Ursprung hat. Zitate großer Denker und Künstler wechseln sich ab mit Erzählungen über die teilweise Zitierten. Somit erfährt der Leser mehr über Menschen wie Nina Simone, Walter Benjamin, Simone Weil oder Clarice Lispector als über den Erzähler und den Verstorbenen. So konkret er über diese historischen Personen und über Themen wie Kolonialismus erzählt, so vage bleibt er in der persönlichen Geschichte.
Die Trauer der Tangente ist ein intellektuelles, durchaus poetisches Werk, das nie so richtig zu einer stimmigen Erzählung kohäriert. Als Leser kann man fasziniert sein ob der zahlreichen Digressionen – sich aber auch ausgesperrt fühlen. Geduld und der Wille zur Interpretation sind also unabdingbare Voraussetzung, um aus den zahlreichen Versatzstücken eine Art Geschichte zu rekonstruieren und Bezüge zwischen der erzählten Gegenwart und den zahlreichen Referenzen herzustellen. Schwere Kost.
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Die Trauer der Tangente von Fabian Saul ist bei Matthes & Seitz Berlin erschienen.
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