Das 90er Jahre Revival dauert an: Die Wiederkehr vergangener Trends lässt vermuten, wir befinden uns in einem Loop. Symptomatisch dafür ist natürlich elektronische Musik, die ganz zentral auf Wiederholung fußt. Maria Muhars Roman Lento Violento ist gleich nach einer Stilrichtung der Zeit benannt, spielt aber im Österreich der Ibiza-Affäre. Alex, Protagonistin des Texts, ist besessen von Eurodance, hat aber ziemlich wenig Spaß. Ohnehin: Lento Violento ist ein Text, der sich aus Zitaten der Zeit zusammensetzt, aber nichts von ihrer Ekstase birgt.
Alex, Ruth und Daniel leben in einer WG in Wien. Dreh- und Angelpunkt ist aber Alex, die sich als Autorin versucht, bei ihrem Buchprojekt über Eurodance aber keine Fortschritte macht. Daniel und Ruth sind ebenso eher erfolglose, diffus kreative Personen, aus deren Lebensalltag der Leser aber recht wenig erfährt. Was diese Personen den lieben langen Tag so machen und wie sie sich überhaupt ihr ödes Leben finanzieren, bleibt das Geheimnis der Autorin. Vielleicht sind Ruth und Daniel auch nur Einbildungen von Alex, die in ihrem aus Besuchen beim Therapeuten, fruchtlosen Schreibversuchen in der Bibliothek und gelegentlichem Drogenkonsum bestehendem Leben eine ziemlich traurige Figur darstellt.
Lento Violento ist ein Text mit ziemlich dünner Handlung, der sich trotz seiner Kürze ganz schön streckt. Es hilft nicht, dass beinahe die Hälfte des Buches aus Zitaten besteht – sei es aus Sekundärtexten zum Phänomen Eurodance oder Zitaten aus der Musik selbst. Weltflucht und Ekstase vermischen sich zu einer seltsam wummernden Romantik, die Alex und Lento Violento hier zu etwas Sinnbildlichem aufladen wollen:
Wir sind als Kinder in dem Glauben aufgewachsen, everything’s gonna be alright. Erwachsene Menschen haben uns dieses Versprechen mit ihren gepitchten Stimmen vorgetragen, mit platten Beats reingehämmert, die Phrasen immer und immer wiederholt, bis wir es geglaubt haben – wir waren in diesem Alter doch komplett offen für sowas! (134).
Sicher, die 90er waren eine Zeit des “anything goes”, ein Jahrzehnt, dessen scheinbar schlimmste Krise in der Frage mündete, ob sich Bill Clinton im Oval Office von seiner Praktikantin hat befriedigen lassen. Es war die Dekade, an deren Beginn Francis Fukuyama fälschlicherweise das Ende der Geschichte proklamierte, bis Geschichte 2001 bildgewaltig zurückkehrtet. Ein Jahrzehnt falscher Versprechen, einer trügerischen Glückseligkeit, die heute eine Art Sehnsuchtsort ist. Alex arbeitet sich daran ab – zur Irritation ihrer beiden Mitbewohner, die der Musik nie etwas abgewinnen konnten und sie entsprechend nicht als prägend – eher nervig – empfinden. Nie wird dieses Lebensgefühl im Text präsent. Es herrscht Ernüchterung – doch muss man das an den Versprechen einer hochgradig kommerzialisierten Musik festmachen?
Lento Violento, bestehend aus Zitaten, dem Ennui seiner Protagonisten, einer halbgaren These und vielen Wiederholungen, verpasst es, zu einer kohärenten Erzählung zu werden – oder zumindest einer sprachlich interessanten. Es ist ein unnötig verkopfter Text ohne Dynamik, ohne Rausch. Die Autorin gönnt ihren Lesern nicht einmal einen einzigen Rave!
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Lento Violento ist bei Kremeyr & Scheriau erschienen.
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