Wenn man etwas zum dritten Mal macht, kann man es eigentlich schon als Tradition bezeichnen. Also: Wie Ende August traditionell üblich, verschlug es meine lieben Eltern und mich in Radebeuls Weinberge. Nachdem Teil zwei, wie bei Fortsetzungen üblich, die größten Highlights des ersten aufnahm, sollten wir dieses Mal in ein paar Neuentdeckungen stolpern.
Der Tag des offenen Weinguts 2020 beginnt, wo er im Vorjahr endete: Bei Frédéric Fourré auf der Bennostraße 9¾. Nicht nur um den Willen der Kontinuität, auch weil der lieblich hergerichtete, mit angenehmer Musik beschallte Garten unsere liebste Adresse geworden ist. Praktischerweise kann man auf der Bennostraße auch nah am Geschehen parken. Also: Lagebesprechung bei Scheurebe und Flammkuchen (beides wie immer top). Ein letztes Jahr aufgrund hochsommerlicher Temperaturen aufgeschobener Wunsch meiner Mutter, die Spitzhaustreppe zu besteigen, wurde verfestigt. Eine kleine Stärkung war also durchaus angebracht, während wir Klatsch und Tratsch austauschen. Übrigens Corona: Von Einschränkungen war nur wenig anzumerken, die Atmosphäre an diesem Tag war freundlich bis ausgelassen, wie in den anderen Jahren auch. Hier und da wurde Desinfektionsmittel bereitgestellt. Bei Frédéric Fourré machte sich ein mit Sprühflasche und Gesichtsschutz bewaffneter Junge daran, alle Tische und Stühle zu säubern, sobald sich jemand von ihnen erhoben hatte. Derlei Sorgfalt ließen die anderen an diesem Tag besuchten Adressen vermissen. Also auch in dieser Hinsicht großes Lob an den Franzosen.
Auch wenn sich der Himmel grau zeigte, wollten wir auf die Aussicht über Radebeul nicht verzichten. Die Spitzhaustreppe, aufgrund der Stufenzahl auch Jahrestreppe genannt (es sind, wie eine Plakette informiert, tatsächlich ein paar mehr), gibt die Aussicht nicht ohne Mühen frei. Weinhänge zur Linken und Rechten laden zum Mundraub und zur Stärkung ein. Pausen legt man natürlich nur zum Fotografieren und von Schnaufen begleitetem Small Talk ein. Die Aussicht ist dann im wahrsten Sinne atemberaubend. Zwischen Bismarkturm und Spitzhaus findet sich auch eine Besenwirtschaft, in der jedoch kein Platz mehr zu ergattern war. Wir ließen die Blicke schweifen, atmeten durch, und machten uns wieder an den Abstieg. Zum Fuße der Treppe die nächste Einkehr im Weinkeller Am Goldenen Wagen. Dort spielte sich eine Band aus Alt-Hippies für ein abendliches Konzert ein. Den Hauswein zapft man sich direkt vom Fass. Er war okay, nach einem Glas ging es weiter.
Im naheliegenden und ziemlich wuseligen Hoflößnitz eine kurze Pinkelpause und ein Blick in die Karte. Man wollte etwas neues sehen – alle anderen Weingüter in der näheren Umgebung hatten wir die letzten zwei Jahre bereits ausgekundschaftet. Ein fünfzehnminütiger Fußmarsch führte uns zur Besenwirtschaft Jägerhof im Paradies. Es ist die Rumpelkammmer unter den Besenwirtschaften, das Grundstück glich einem kleinen, alternativen Festivalgelände mit Schildern aus vergangenen Zeiten, die vom Sieg des Sozialismus träumen. Die Preisgestaltung ist entsprechend angenehm: Eine Tasse voll Wein gibt es für 3,50. Er hätte zwar kühler sein können, aber sei’s drum. Auf dem Gelände spielte ein leicht verwitterter Musikant mit Gitarre und Mundharmonika Songs von Bob Dylan und Max Giesinger (eklektisch!) und machte seine Sache gut. Menschen applaudieren, grölen gar. Eine Frau ruft ihren Begleitern aus einer ebenfalls verwitterten Scheune zu, die Toilette müsse man gesehen haben, die sei der Knaller. Da niemand von uns das sagenumwobene Örtchen aufsuchen musste, tranken wir aus und gingen weiter zur Winzerei Paradiesberg.
Ein Feldweg (euphemistisch gesprochen) führte in die Straußwirtschaft mitten im Weinberg, die nicht nur herrlich im Grünen lag, sondern auch noch eine famose Aussicht bei auflockerndem Himmel bot. Hier gab es Weine gediehen an Ort und Stelle zu verköstigen, Zwiebelkuchen und Bemmen stärkten uns für den Rückweg, der uns zurück über das Hoflößnitz zum Weingut Aust führte. Auch dieses punktet mit entspannter Gartenatmosphäre, die Sonne tauchte den Himmel in Orange und Pink. Passend dazu wieder etwas Neues: Frozen Rosé. Nicht unbedingt ein Getränk für feingeistige Weinkenner, aber so fein waren die Geschmacksknospen zur abendlichen Stunde auch nicht mehr. Zum Wohl!
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