Es muss etwas seltsam sein, wenn ein paar gesungene “la la las” die berühmtesten Zeilen sind, die man je sang. Sam Phillips wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch ihre Beiträge für die Erfolgsserie Gilmore Girls bekannt. Tatsächlich ist sie eine der originellsten Songwriterinnen Amerikas, aus deren Songs ich endlos zitieren könnte. Seit Ende der 1980er Jahre veröffentlicht sie beinah makellose Alben, eine Serie, die auch mit dem zehnten Longplayer World on Sticks nicht reißt.
Die Welt auf Stöcken: Auf wackligem Fundament wandelt der Mensch ohne Rücksicht auf Verluste gen Abgrund. Sam Philipps neue LP steht ganz im Zeichen der Zeit, ihre idiosynkratischen Pop-Perlen schauen auf das große Ganze. In “Tears in the Grounds” zeichnet Sam Phillips über Akustikgitarre und elegische Streicher das Bild einer kollabierenden Erde: “As we are watching her gardens die/ The future’s falling from our eyes”. Und das alles, weil falsche Propheten Träume verkaufen, die eigentlich keiner braucht: “You can’t take the dreams out of us/ No matter what you do/ No one will cry for you”.
“American Landfill Kings” klingt mit seinem Ragtime-Piano und seiner infektiösen Trompeten-Melodie nach einem Jahrmarkt für eine im Müll versinkende Welt. “How Much Is Enough” thematisiert das weiße Rauschen aus sich überschlagenden Schlagzeilen und falschen Versprechungen – Informationsmüll sozusagen.
“Roll ‘em” würde mit Zeilen wie “if anyone gets in your way” und seinen dramatischen Streichern sehr gut als Bond-Song funktionieren. Das karg instrumentierte “Continuous Limit” könnte hingegen wunderbar einen Western untermalen, auch thematisch: Mit leicht heiserer Stimme hinterfragt Philipps das stete Streben nach immer mehr, indem sie die Absurdität amerikanischer Redewendungen zur Schau stellt:
You don’t have to make living/ If you’re alive / You don’t have to make a killing/ Before you die/ Who is dreaming for me/ This continuous limit?
Nachdenklich, melancholisch und manchmal auch etwas unheimlich klingt World on Sticks. Gemessen an den Themen, die die in Los Angeles lebende Songwriterin in den elf Songs bearbeitet, ein durchaus passendes Klangkostüm. Den betont akustischen, erdigen Klang von Akustikgitarren und Streichern kontrastiert sie immer wieder mit polternden Drums. Elektrische Gitarren sorgen im Hintergrund für Textur. Ihr Gespür für schlichte Melodien, die sich magisch in den Ohren verfangen, ist Phillips weiterhin hold geblieben. Diese und die überraschenden wie einfachen Bilder, die sie in ihrer Sprache findet, tragen dazu bei, dass World on Sticks trotz seiner Nachdenklichkeit sich eine gewisse Leichtigkeit bewahrt. So ganz ohne Hoffnung geht es eben nicht. Das unterstreicht auch der letzte Song, “Candles and Stars”, in dem Philipps davon singt, den Kummer hinter sich laufen und den Blick zum offenen Himmel schweifen zu lassen.
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World on Sticks erschien als Download bereits im September 2018. Die Vinyl-Ausgabe ist im Januar erschienen.