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Wenn Elefanten Politik machen: Das Geschenk von Gaea Schoeters

Das Geschenk von Gaea Schoeters RezensionDas Geschenk von Gaea Schoeters löst das große Versprechen ein, das ihr viel besprochenes Debüt Trophäe machte. Das Geschenk nimmt die Themen des Vorgängers – Zivilisation und Naturschutz, Postkolonialismus, Maskulinität – auf und entwickelt sie weiter zu einer erschütternden Diagnose zur Demokratie in westlichen Gesellschaften. Der Roman ist eine hintersinnige Politiksatire, in der sich ein machtpolitisch taktierender deutscher Kanzler mit einem erstaunlichen Problem auseinandersetzen muss: 20.000 afrikanische Elefanten tauchen plötzlich in der Hauptstadt auf.

Wir leben in einer Zeit, in der eine Krise die nächste jagt. Reagieren statt agieren scheint die Devise heutiger politischer Praxis. Diesen Eindruck kann man nicht nur durch einen Blick in die Tageszeitungen, sondern auch nach der Lektüre von Schoeters’ Roman gewinnen. Es beginnt mit einem paradoxen wie idyllischen Bild von Natur und Urbanität: Elefanten spielen im Wasser der Spree – inmitten Berlins.

Das Geschenk des Romantitels kommt aus Botswana. Die Bundesregierung hat just ein neues Gesetz beschlossen, das Naturschutz, vor allem den Handel von Jagdtrophäen, schärfer regelt. Da die große Elefantenpopulation Botswanas aus Sicht der dortigen Regierung ein erhebliches Problem für die Bevölkerung darstellt – man konkurriert schließlich um Lebensraum und Nahrung – siedelt man einen Teil davon nach Deutschland aus. Es ist ein perfekter, nahtloser Anschluss an den Debütroman Trophäe, der uns ein moralisches Dilemma präsentierte: Schließlich ging es hier um einen westlichen Großwildjäger, der eine Lizenz zum Abschuss eines Nashorns erworben hatte. Der Erlös solcher Lizenzen fließt paradoxerweise in den Naturschutz – Schutzgebiete und deren Erhalt werden so finanziert.

Der Westen, so der botswanische Präsident in Das Geschenk, überlässt den Schutz bedrohter Arten den Armen, während man sich selbst der hiesigen Großfauna schon vor Jahrtausenden entledigte. Auch in Europa lebten einst Elefanten, Löwen und mehr. Man erinnere sich nur an die hitzigen Diskussionen, die die Rückkehr der Wölfe in Deutschland auslöste.

„Genug ist genug.“ Der Wirtschaftsminister schüttelt energisch den Kopf, „Ich habe es von Anfang an gesagt: Das Zusammenleben mit wilden Tieren ist in einem zivilisierten, industrialisierten Land unmöglich. Mal abgesehen von den direkten Schadenersatzforderungen sind die wirtschaftlichen Folgeschäden dieses Fiaskos noch nicht prognostizierbar. Das hier wird sich auch auf andere Bereiche auswirken. Deutschland ist ein unzuverlässiger Handelspartner geworden“ (S. 109).

Fragen, die sich aus Auslassungen wie dieser ergeben: Will man anderen Ländern mit noch halbwegs intakter Megafauna überhaupt eine Chance auf wirtschaftliche Entwicklung zugestehen? Gibt es im Geschäftsmodell, unter dem die Menschheit auf dieser einen Erde agiert, überhaupt Raum für natürliche Flora und Fauna?

Vordergründig geht es zumindest im ersten Drittel um dieses postkoloniale Thema. Damit schafft Schoeters eine wunderbare Fortschreibung ihres Debüts. Sie nutzt dies aber nur als eine Art Hinleitung zu den eigentlichen Themen, die Das Geschenk bearbeitet: Die Elefanten sind das auslösende Moment einer Politsatire, in deren Zentrum der Bundeskanzler Winkler steht. Er ist getrieben von der Opposition, angeführt von dem Populisten Fuchs. Die Elefanteninvasion kommt ihm natürlich gelegen, schließlich stellen die Dickhäuter ein erhebliches Problem für die öffentliche Ordnung dar: Sie zerstören Parks, gefährden den Verkehr, schleppen invasive Arten ein. Lösungen muss man als Opposition freilich nicht präsentieren. Bei der Findung dieser gerät der Kanzler ins Schwimmen: Einsperren, umsiedeln, abschießen sind keine Optionen. Irgendwie muss man sich arrangieren – nur wie?

Eine Katastrophe folgt der nächsten. Das Geschenk liest sich wie eine Chronik dieser Ereignisse, der Katastrophen, der Inszenierungen, der Manipulationen hinter den Kulissen. Es gibt in diesem Roman auch Stimmen, die in den Elefanten eine Chance sehen: Eine Megafauna wie sie einst in Europa existierte, könnte gut für die Biodiversität und das Klima sein. Vielleicht stecken auch wirtschaftliche Möglichkeiten in den Dickhäutern.

Doch diese Überlegungen sind Visionen für die Zukunft – und Visionen haben in einer Zeit, in der nur in Legislaturperioden gedacht wird, keinen Platz. Es geht hier nicht nur darum, mit den Elefanten klarzukommen. Es geht auch um den Schutz der Demokratie vor der antidemokratischen Opposition. Und hier schneidet Schoeters ins Fleisch: Die Demokratie retten zulasten der Zukunft? Frisst sich die Demokratie selbst auf?

Schoeters meistert den schwierigen zweiten Roman scheinbar mühelos: Das Geschenk ist klug, literarisch, unterhaltsam – ein echtes Kunststück.

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Das Geschenk von Gaea Schoeters ist bei Zsolnay erschienen.

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