Ein schmaler Band, große Themen: Hartmut Langes Der etwa vierzigjährige Mann vereint drei Texte, die sich mit der Konfrontation der Wirklichkeit beschäftigen und mit der Ablenkung davon, in die man flüchtet. Mit zeitloser Eleganz geschrieben, stößt der Schriftsteller in die Absurdität der menschlichen Existenz vor.
Die titelgebende Geschichte fokalisiert einen etwa vierzigjährigen Mann, der auf das Ufer der Elbe zugeht: „und wenn man dies beobachtet, erinnert man sich daran, dass hier, es ist nicht lange her, zwei verfeindete Länder aneinandergrenzten und dass man versucht war zu fliehen und immer in einer Richtung, nämlich von Ost nach West“ (11). Der am Ufer wandelnde Mann flüchtet auch – nicht durch Raum, sondern durch Zeit –, hin zu Zeitaltern, die Dinge von überdauernder Schönheit schaffen. Nur: Er muss feststellen, dass sie Schauplatz furchtbarer Grausamkeiten waren – das Kolosseum ist ein Schlachtfeld menschlicher Ablenkung, der Tiber ist blutrot gefärbt. Auch Florenz, wo die Meister der Renaissance wirkten, war keinesfalls ein Ort, in dem die Schönheit regierte. Und so geht es rastlos durch die Zeit: „Aber ich bin auf der Suche nach der Kunst und nicht nach der Wirklichkeit“ (39).
Lange spannt in „Der etwa vierzigjährige Mann“ ein allegorisches Netz, voller Referenzen an Kunst und Grausamkeit. Sein Protagonist ist ein Rastloser, der die Augen am liebsten nur in eine Richtung lenken mag – doch das Schreckliche drängt sich auf. Ist der Mensch unverbesserlich? Bedarf die Schönheit der Kunst der Grausamkeit der Wirklichkeit?
Realitätsverweigerung betreibt auch Frau von Bebenburg im von Arthur Schnitzler inspirierten dramatischen Text „Die Unberührbare“. Deren Mann hat sich auf Drängen des Schwagers auf ein Duell eingelassen, weil unschöne Gerüchte über die Adlige in die Welt gesetzt wurden. Er stirbt, ein junger Mann wird beauftragt, ihr die Nachricht vom Tod zu überbringen – doch Frau von Bebenburg ist exzentrisch, lenkt unangenehme Gespräche ab, lebt in ihrer eigenen Welt, in die der junge Mann hineingezogen wird. Vielleicht waren die unsittlichen Gerüchte doch nicht so falsch.
Der finale, kürzeste Text „Auf der Durchreise“ ist ein Gespräch zwischen zwei gebildeten Männern, von denen einer am Rande des Selbstmords steht – wieder geht es um die Existenz und deren Sinnhaftigkeit.
Der etwa vierzigjährige Mann von Hartmut Lange ist schnell gelesen, dennoch eine Herausforderung: Die Texte sind eine Einladung zum Denken, wie man sie nicht alle Tage trifft.
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Der etwa vierzigjährige Mann von Hartmut Lange ist bei Diogenes erschienen.
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