Im Land der Wölfe von Elsa Koester nimmt den Leser mit ins ostsächsische Grenzlitz, ein fiktiver Ort, der möglicherweise für Görlitz steht, der schönen Filmkulisse, die durch die Neiße von Polen getrennt ist. Nana, Ich-Erzählerin des Romans, ist aus Berlin in die von den Nachwendejahren gezeichnete Stadt gekommen, um Katja von der Partei Zukunftsgrünen bei der Bürgermeisterwahl zu coachen und einen blauen Bürgermeister zu verhindern. Wie die Region, in die sie reist, wirkt auch sie gespalten. Ihre Reise nach Grenzlitz ist auch eine Flucht vor familiären Spannungen. Ihre Unterstützung für Katja könnte sie darüber hinaus gefährden, weil sie dem blauen Schergen Falk etwas zu nah kommt.
Im Zentrum von Im Land der Wölfe steht die große Frage, wie es gesellschaftspolitisch weitergehen soll. Während sich in ostdeutschen Provinzstädten die Blauen nach und nach festbeißen und nicht mehr zu ignorieren sind, schwadronieren andere Parteien an den Sorgen der Bürger vorbei. Ganz konkret taucht die gesellschaftliche Spaltung und Radikalisierung anhand identitätspolitischer Themen sowie Fremdenfeindlichkeit auf. Das erste Thema hat für Nana eine persönliche Bedeutung. Ihr älterer Bruder, zu dem sie stets aufschaute, hat sich als transsexuell geoutet, wodurch sich die Erzählerin vor den Kopf gestoßen führt. Die Geschwister – vielleicht sinnbildlich für Ost- und Westdeutschland – haben viel aus der Vergangenheit aufzuarbeiten, unter anderen das komplizierte Verhältnis zur Mutter.
Fremdenfeindlichkeit, Radikalisierung bis hin zur Etablierung faschistischer Strukturen werden am Ort Grenzlitz selbst diskutiert. Der noch amtierende Bürgermeister der konservativen Partei scheint mit seiner politischen Zukunft abgeschlossen und relativ kampflos dem blauen Konkurrenten das Feld überlassen zu wollen. Die Blauen haben darüber hinaus großen Rückhalt in den Sicherheitsstrukturen der Stadt, vornehmlich der Polizei. Grenznahe Diebstahlsdelikte, eine diffuse Angst vor Überfremdung, die Ablehnung von identitätspolitischen Themen (Gendern!) und eine Angst vor dem Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft machen die Runde. Ebenfalls grassiert eine dezidiert antiintellektuelle Haltung – besonders tragisch in einem Land, in dem es ohnehin keine nennenswerten intellektuellen Galionsfiguren mehr gibt.
Dem braunen, ähm, blauen Sumpf steht Katja Stötzel entgegen: Sie kommt aus der Gegend, war zwischenzeitlich aber in Leipzig. Das macht sie zwar etwas suspekt – Bildung und Großstadt machen Menschen in Grenzlitz schon verdächtig – aber sie kann mit um die 30 Prozent bei der Wahl rechnen. Mit etwas Überzeugungsarbeit, so die Spekulation von Nana, könnte man vielleicht doch an den Blauen vorbeiziehen. Katjas grüne Wirtschaftskonzepte stoßen durchaus auf offene Ohren in der Stadt.
Aber die Blauen fahren natürlich ihre eigene, auf Einschüchterung und Falschinformation beruhende Kampagne und Nana ist zu sehr in sich selbst verfangen, um mit der Stadt und ihren Bürgern wirklich warm zu werden. Sie selbst hat ihre Position zu Themen wie Transsexualität zu klären. Und dass sie sich zum blauen Schergen Falk hingezogen fühlt, könnte der Kampagne ebenfalls einen Bärendienst erweisen.
Elsa Koesters Roman ist von Flashbacks und Zwiegesprächen durchzogene Erzählung. Kommentierend schaltet sich wieder und wieder Nanas Bruder in die Erzählung ein. Diese Zwischensequenzen geraten gelegentlich zu kleinteilig und nehmen Im Land der Wölfe manchmal etwas den Fluss. Darüber hinaus überzeugt die Erzählung, die dem Leser keine einfachen Antworten bietet und allzu klare Positionierungen durch die selbst gespaltene Erzählerin verweigert. Der Roman ist dadurch ein ansprechender Beitrag zu einem Diskurs, der uns gesamtgesellschaftlich noch einige Zeit beschäftigen wird.
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Im Land der Wölfe von Elsa Koester ist bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen.
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