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Verhungern mit vollem Bauch: Content von Elias Hirschl

Content von Elias HirschlMit gerade einmal 30 Jahren veröffentlicht der Österreicher Elias Hirschl mit Content seinen bereits vierten Roman. Wie die schon überaus gelungene Polit-Satire Salonfähig (2021) schreibt er mit scharfer Feder und absurdem Humor über den Horror der Gegenwart: In Content erzählt die namenlose Protagonistin von ihrer sinnbefreiten Arbeit in einer rätselhaften Content Farm während die Welt um sie herum auseinanderfällt.

Früher war hier eine Kohlenzeche, sagt Karin. Dann eine Fabrik für Autoteile und jetzt eine Content Farm (9).

Die Erzählerin arbeitet für Smile Smile, einer Content Farm, in der hauptsächlich sogenannte Listicles erstellt werden sowie Videos und Memes für TikTok und YouTube. Smile Smile ist Teil einer größeren, undurchsichtigen Konzernstruktur, die sich – wie man vermutet – bis nach Russland zurückverfolgen lässt. Sie und ihre Kollegin Karin schreiben wie am Fließband. Die Artikel werden dann so oft vom Korrektorat umgeschrieben, bis man sie nicht wiedererkennt. Eigentlich arbeiten hier Kreative, die es als Künstler nicht geschafft haben: “Ich lebe mich ein. Ich finde mich ab” (17). Karin, die sich nicht so ganz abfinden kann und von einem Job als Gag-Schreiberin für eine amerikanische Late Night Show träumt, zerstört sich irgendwann ihre rechte Hand in einer Hydraulikpresse, die eigentlich genutzt wird, um alltägliches Zeug für das Internet zu zerquetschen.

Bis dahin ist Content eine unterhaltsame Satire auf digitale Arbeitswelten und undurchschaubare Wertschöpfungsketten (welche Werte werden hier überhaupt generiert)? Ihre Inhalte klauben sich die “Redakteure” hier aus dem Internet zusammen, es ist weder sonderlich kreativ noch informativ und letztlich nur verschwendete Zeit für Arbeit, mit deren Endprodukt der User wiederum seine Zeit verschwendet – ein Kreislauf der Sinnlosigkeit.

Es ist ein kluger Schachzug, die Content Farm in einer unbekannten Stadt mit einer Tagebau-Vergangenheit anzulegen. Die digitalen Arbeiter machen nichts anderes – und doch etwas völlig anderes: Gewissermaßen ausbeuterische Fließbandarbeit, aber das Mining, das hier betrieben wird, ist bloßer Selbstzweck, aus dem nichts entsteht (Energie, Autoteile, etc.). Die ArbeiterInnen bauen Inhalte aus dem Internet ab und setzen sie zu neuen Inhalt zusammen – möglicherweise um Ad Space zu verkaufen. Aber so genau weiß man es nicht im Fall von Smile Smile. Hirschl kontextualisiert seine Satire hier also in der Geschichte der Arbeit von frühindustriell bis postindustriell.

Aber Hirschl will mit Content noch ein bisschen mehr erzählen: Es geht auch um Algorithmen, um künstliche Intelligenz und Identität. Die Erzählerin unternimmt mehrere Versuche, Musils Mann ohne Eigenschaften zu lesen, aber kommt nicht über die ersten Sätze hinaus. Sie selbst ist gewissermaßen eine Frau ohne Eigenschaften – ohne Überzeugungen arrangiert sie sich mit den Gegebenheiten. Aber ist sie überhaupt eine Person? Denn irgendwann kann sie sich nicht mehr in ihre Social Media Accounts einloggen, ihr Smartphone gibt den Geist auf. Plötzlich postet da eine Andere auf ihrem Instagram Account – eine, die genauso aussieht; eine Frau, die heiratet, reist, als Influencerin Bekanntheit erlangt. Wurde ihre Identität von einer KI gekapert – oder wird gar Content von einer KI erzählt?

Mit Content ist Elias Hirschl eine urkomische Erzählung geglückt, die dem digitalen Ekel ein angewidertes Lachen entgegen brüllt. Wenn dieses Lachen nicht auch bitter ernst wäre: Denn so absurd es hier teilweise auch zugeht – so weit weg von der Realität ist es nicht (mehr).

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Content von Elias Hirschl ist bei Zsolnay erschienen.

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