In welcher Gattung spielt Die Musik auf den Dächern, die uns Selim Öszdogan uns hier als Erzählband präsentiert? Es ist nicht alles Fiktion: Klassische Kurzgeschichten treffen auf Essayistisches und Autobiografisches. Es ist also mehr Mixtape als Symphonie, der Wechsel ist bemerkenswerter als die Einzelstücke.
Selim Özdogans Die Musik auf den Dächern ist ein schwer zu klassifizierendes Buch, sowohl thematisch als auch formal. Mit “Alles fängt mit A an” gelingt der Einstieg mit einer formal gesehen klassisch deutschen Kurzgeschichte, die, mit wenig Personal, einen kurzen Schnappschuss aus dem multikulturellen Deutschland erzählt: “Ich rede kasachisch mit meiner Mutter, Usbekisch mit meinem Vater, Deutsch mit meinen Kollegen und Türkisch mit Esra und Cenk”, informiert uns die Erzählerin, die von ihren letztgenannten Nachbarn und von der Weigerung des Kindes Cenk erzählt, Deutsch zu sprechen (14). Auch der zweite Text, “In Gummistiefeln”, ist eine klassische Kurzgeschichte, in der linke Aktivisten ein politisches Zeichen setzen – eine gelungene Erzählung, die die interessante Frage stellt, ob es nicht seltsam ist, “dass man Zweifel säen möchte, aber selbst nicht zweifelt?” (20).
So weit, so gut. Doch dann gibt es Erzählungen eher allegorischer Natur, wie “Die Bibelwerkstatt” oder “130 Kinder”, einer Variation vom Rattenfänger von Hameln. Darunter mischen sich Texte, die sich eher essayistisch lesen, wie “Was in dieser Musik geblieben ist”, in dem der Erzähler über Joy Division und die Faszination am Leiden anderer schreibt: “Ich wollte einsam sein. Ich wollte leiden. Ich wollte Schriftsteller werden” (59). Der Künstler als Leidender also. Ohne diesen etwas verbrauchten Schriftsteller-Gestus, aber thematisch verwandt, geht es in einem der stärksten Texte, “Man trauert nur um sich selbst”, weiter, in dem der Erzähler – vielleicht der Autor selbst – von seiner Freundschaft zu seinem zeitweise besten Freund Stephan schreibt. Es ist eine traurige, poetische Erzählung, die zeigt, wie viel man von sich selbst verrät, wenn man über andere spricht.
Die Musik auf den Dächern ist ein bunter Reigen. Ganze 27 Texte finden auf knapp 200 Seiten Platz. Es ist ein Band für kurze Aufmerksamkeitsspannen, variationsreich erzählt und thematisch unbändig. Manchem Text wünscht man etwas mehr Raum, auf andere könnte man, aufgrund der schieren Menge wenig überraschend, auch verzichten. Eine gewisse Reduktion hinsichtlich der Quantität und eine andere Sequenzierung der Texte wäre ein Gewinn gewesen, so fehlt diesem Mixtape trotz einer Handvoll Höhepunkte etwas die Balance.
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Die Musik auf den Dächern ist bei Edition Nautilus erschienen.
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