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Schöngeistigkeiten in der Normandie: Eine redliche Lüge von Husch Josten

Eine redliche LügeLeben wie Gott in Frankreich: So liest sich das in Eine redliche Lüge der Autorin Husch Josten dargestellte Leben der Eheleute Leclerc, bei denen Elise, frisch vom Studium, einen Sommer lang als Hausmädchen anheuert. In einem traumhaften Strandhaus in der Normandie halten die Leclercs regelmäßige Dinnerparties, bei denen sich die feine Gesellschaft zu feinen Speisen und schöngeistigen Gesprächen trifft. Elise ist teilnehmende Beobachterin, fasziniert und von Neugier beseelt, rekapituliert sie nun, Jahre später, diesen schicksalhaften Sommer, der, metaphorisch gesprochen, in einem Gewitter endete.

Man kann seinen Eltern nie so ganz entfliehen, auch wenn Elise sich in Ablehnung zu deren selbstgerechter Prinzipientreue offen und nicht festgelegt gibt. Und so begibt sie sich ganz unvoreingenommen ins Heim ihrer zeitweiligen Ersatzeltern, deren Lebensstil – sie Autorin, er stets würdevoller Vermögensverwalter – sie voller Neugier und Verzücken zumindest als Angestellte miterleben darf.

Worauf sie ihr Geld und ihre Möglichkeiten gründeten, kümmerte mich nicht. Was mich bei ihnen hielt, war ihre Offenheit, ihre Freundlichkeit, ihr Interesse an Menschen (15).

Besonders in Margaux Leclerc findet sie so etwas wie eine mütterliche Freundin, die nicht nur durch ihre Offenheit, sondern auch durch ihre Tätigkeit als Schriftstellerin sowie ihre Herkunft nah bei der Erzählerin ist. Diese hat selbst literarische Ambitionen und beide sind von deutsch-französischen Wurzeln. Entsprechend spielt (kulturelle) Identität in Eine redliche Lüge eine zentrale Rolle, genauso wie die Gräben unserer Zeit. Denn der Roman spielt im bildungsbürgerlichen Milieu des Jahres 2019 und so kommen bei den regelmäßigen Dinners jede Menge andere Themen auf den Tisch. Man diskutiert Untreue, die Geschlechter, Aktivismus damals und heute, Polizeigewalt und Populismus sowie einiges mehr.

Es ist ein plauderhafter Text, erzählt mit der Leichtigkeit einer Sommerbrise am Meer, der sehr nah an den Diskursen der Gegenwart ist und irgendwann während des Lockdowns von Josten geschrieben worden sein muss. Denn Elise erinnert sich Jahrzehnte später an diesen Sommer, bevor ein Virus die Welt veränderte. Etwas Melancholie ob solcher unbeschwerter Gesellschaften schwingt hier also unweigerlich mit.

Wunderbar ungezwungen webt Josten die Gesprächsfäden der Gäste der Leclercs in den Text, ohne ihnen einen auktorialen Stempel aufzudrücken, der sich einer geäußerten Position gemein macht. Behutsam und geradezu beiläufig nähert sich der Text den Geheimnissen der weltgewandten Gastgeber, um am Ende dann doch den Vorhang aufzureißen und den Leser zurück zum bereits Gelesenen zu schicken. Unspektakulär und doch kunstvoll erzählt Eine redliche Lüge von den Themen unserer Zeit, die sich immer mehr als Zeit des epochalen Umbruchs zeigt, und den Lügen, die Menschen – vermeintliche Idole und andere – um sich herum konstruieren und sich allmählich festtreten, bis der Boden einmal bricht.

Die Erzählerin legt sich indes fest auf das nicht Festgelegte: Irgendwann in der ungewissen Zukunft lebt sie auf einem Hausboot und erinnert sich an eine Zeit, in der der Boden bereits schwankte.

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Eine redliche Lüge ist im Berlin Verlag erschienen.

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