“Wir sind alle bloß Ableitungen […], wir alle tun nur so als ob” (42) heißt es an einer Stelle in Mary Millers Erzählband Always Happy Hour, in dem die meisten ihrer elf Erzählerinnen – weiß, um die 30, gebildet – ziemlich ähnliche, unerfüllte Leben führen, sowohl in privater wie in beruflicher Hinsicht. Ein akutes Bewusstsein für die eigene Unzufriedenheit zieht sich durch diese Geschichten – ebenso wie das Gefühl für die eigene Unfähigkeit daraus – aus sich selbst eigentlich – auszubrechen. Es ist ein starker Band, am Puls der Zeit des Milieus, das hier abgebildet wird, der, wenn man Miller etwas ankreiden will, den einen oder anderen Ausreißer gut vertragen hätte.
Wenn ich schon jetzt meine alljährliche Bestenliste mit den drei Büchern des Jahres zusammenstellen würde, hätte ich kein Problem damit, eine gute Auswahl zu treffen. Always Happy Hour, dachte ich nach den ersten drei Erzählungen, könnte sich einen dieser ersten Plätze sichern. Miller bringt unglaublich gut beobachtete Geschichten aufs Papier, die nicht nur den Lebensalltag junger (einigermaßen privilegierter) Menschen in westlichen Gesellschaften einfängt, sondern das auch in einem betörend melancholischen Ton. Die aus der ersten Person Präsenz heraus geschriebenen Texte wickeln den Leser in das Bewusstsein der Protagonisten ein und sind – obwohl eigentlich recht wenig passiert – fesselnd genug, dass man es selten bei nur einer Erzählung belassen kann.
Es ist echt lästig, dauernd mit irgendwem über Dates und Arbeit chatten zu müssen, wenn ich doch eigentlich bloß Tiervideos gucken und meine Exfreunde stalken will. Ich sehe mir die Sachen in meinem Amazon-Warenkorb an und überlege, ob ich sie noch will (34).
Aber worum geht es hier eigentlich? Diese Frauen sind in der Regel gut ausgebildet, aber beruflich nicht sonderlich erfolgreich. Sie hangeln sich meist von einer befristeten Stelle an der Uni zur nächsten, scheinen aber auch nicht sonderlich motiviert, die Zügel fester in die Hand zu nehmen und die eigene Karriere zu forcieren. Gleichwohl wabert in den meisten Figuren hier das Gefühl, Potenzial zu verschenken, mehr zu können. Aber die Einsicht bringt nicht immer die Tat. Menschen, so zeigt Always Happy Hour, neigen zur Bequemlichkeit.
“Das hier ist nicht mein Leben oder zumindest nicht das Leben, das ich führen sollte, deshalb kann ich so tun, als wäre es meins” (76), reflektiert beispielsweise die Erzählerin in “Aufwärts” – ein trügerischer Titel. Sie ist mit ihrem in einem Trailerpark lebenden, scheinbar vorbestraften Partner unterwegs, um einen ominösen Auftrag zu erledigen. Er soll für einen Gangster ein Foto einer Frau schießen – man spekuliert, ob diese mithilfe des Fotos ermordet werden soll. Es ist in erster Linie ein Abenteuer für die Erzählerin, die bereitwillig ihre Kamera leiht und sich in diesem Leben mehr als Gast führt. Doch macht sie sich etwas vor? Der Leser erfährt praktisch nichts über ihr Leben – wo sie herkommt, was sie macht. Dass das nicht ihr Leben sein sollte, da ist sie sich zumindest sicher. Doch welch anderes Leben hat sie, wenn es in keiner Zeile angedeutet wird? Wenn der Sex mit dem Freund nicht so gut wäre, erzählt sie sich selbst, wäre sie schon längst wieder weg.
Das Gefühl, Tourist im eigenen Leben zu sein, behaust auch die Erzählerin in “Erste Klasse”, die mit einer Freundin, die sie eigentlich gar nicht leiden kann, die aber im Lotto gewonnen hat, durch die Welt jettet. In “Er sagt, ich bin ein kleiner Ofen” ist eine junge Frau mit ihrem Partner und den Schwiegereltern auf Kreuzfahrt, doch einen richtigen Draht zu der Familie hat sie nicht – auch zweifelt sie, ob ihr Partner sie noch liebt. Diese wie die meisten anderen Geschichten enden meist offen, oft andeutungsvoll.
Ähnlich wie in Brontez Purnells 100 Boyfriends haben die Erzählerinnen in Always Happy Hour das Bewusstsein dafür, dass ihr Leben nicht ganz so läuft, wie sie es sich vorgestellt haben, aber irgendetwas in ihnen verhindert die Kurskorrektur. Trotz aller Selbstreflektion und Erkenntnis führt das Wissen um die eigene Leidlichkeit nirgends hin. Ist das alles nichts als Nabelschau, reden sich diese Frauen nur ein, dass sie eigentlich etwas anderes wollen und mehr könnten, als sie zustande bringen? Oder sind sie am Ende schlicht und ergreifend selbstzufrieden in der eigenen Melancholie? Always Happy Hour kann man in vielen Momenten durchaus banal finden, wenn man sich nicht an Mary Millers Beschreibungen des postmodernen Lebensalltags erfreuen kann. Es sind keine äußeren Dramen, die sich hier abspielen, keine großen gesellschaftspolitischen Fragen über Klimawandel oder Kapitalismus werden gestellt, vielmehr die inneren Stolpersteine, die eine Gesellschaft voller Möglichkeiten im Subjekt hervorrufen, treten ins Scheinwerferlicht. Zumeist zeigt sich eine Ohnmacht ob der vielen möglichen Lebensentwürfe, von denen dann aber doch keiner so richtig greifbar scheint (oder schon gescheitert ist angesichts der hohen Scheidungsrate in diesen Geschichten).
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Always Happy Hour ist bei Hanser erschienen.
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