Ich bin da mal raus: Ideen gegen den Optimierungswahn von Andrea Gerk mit Illustrationen von Moni Port ist kein auf wissenschaftlicher Recherche basierende, ernsthafter Ratgeber – das würde der eigentlichen Prämisse ja irgendwie schon widersprechen – sondern eher ein kleines Geschenkbüchlein für arg gehetzte Freunde, die zu viel am Smartphone kleben.
Klagen über “Optimierungswahn” sind längst nicht neu. Klar, in einer hoch individualisierten, kapitalistischen Gesellschaft besteht ein ziemlich hoher Druck, besser und anders zu sein als der Nächste, um sich erfolgreich zu verkaufen. Welche Blüten das treibt, lässt sich auf Instagram mitunter am besten beobachten – Influencer verkaufen oft nicht mehr als ihre vermeintliche Individualität. Gerk schreibt es in ihrem Vorwort so: “Seit das uralte Streben danach, ein besserer Mensch zu werden, sich nicht mehr auf kaum messbare Werte wie Moral oder Güte bezieht, sondern in erster Linie auf Leistungen, die sich bis auf hintere Dezimalstellen beziffern lassen, ist das schlechte Gewissen kein notwendiges Übel mehr, um die eigene Verwahrlosung in Grenzen zu halten, sondern eine Art moralischer Tinnitus, der permanent in den nervtötenden Tonlagen daran erinnert, mehr und intensiver an sich zu arbeiten” (8).
Der Optimierungswahn, dem Ich bin da mal raus ein bisschen entgegenwirken will, bezieht sich also stark auf die Leistungsgesellschaft. Doch das Wort “Moral” im obigen Zitat lässt die Frage aufkommen, ob dieser Wahn inzwischen (oder wieder?) nicht auch darüber hinaus geht. Langsam kann man den Eindruck bekommen, mehr als beruflichen Erfolg, aufregende Reisen und schöne Körper, stellt die Zurschaustellung einer überlegenen Moral einen Weg zu großer Anerkennung dar. Kaum etwas unterliegt heute beispielsweise einem größeren Druck, optimiert zu werden, als die Sprache (und was sie eventuell über die Einstellung des Sprechers zu identitätspolitischen Themen sagt).
Doch das ist vielleicht schon ein zu weit führender Gedanke für das, was Ich bin da mal raus wohl eher ist: Ein kleines Büchlein für den Müßiggang, das seinem Leser versichern will, dass es okay ist, mal einen Sonntag ganz unproduktiv im Bett zu verdösen.
Der Anspruch ist also kein sonderlich hoher. Zwar referenziert die Autorin hier wie da Untersuchungen, die ihr Plädoyer für mehr Gelassenheit untermauern, im Großen serviert sie hier wenig Theorie und überwiegend Ideen gegen das, was sie als Optimierungswahn begreift. Derer präsentiert sie 46 an der Zahl in zwei bis drei Seiten kurzen Kapiteln, überwiegend von schönen Illustrationen von Moni Port begleitet. Sie reichen von “Das Handy ignorieren” über “Auf dem Klo sitzen” bis “Es richtig krachen lassen”. Es sind überwiegend Ideen, die dem Optimierungswahn Müßiggang und Hedonismus entgegensetzen. Sie bereitet diese Vorschläge meist mit Anekdoten und Bemerkungen aus dem eigenen (Familien-)Leben auf und verweist auf historische Persönlichkeiten oder literarische Texte, die zum jeweiligen Vorschlag passen.
Nicht jede dieser Ideen kann sich wahrscheinlich ein jeder leisten (“Blaumachen”) und mit den meisten schönen Zeitverschwendungen werden die meisten Leser bereits Bekanntschaft gemacht haben. Nicht alles davon gilt in der Leistungsgesellschaft als lasterhaft, wie der wunderbare Vorschlag, einfach mal wieder Postkarten zu schreiben, die doch ungemein schöner für alle Beteiligten sind, als eine schnöde Chat-Nachricht.
Menschen, die kurz vorm Burnout stehen, wird wohl auch Ich bin da mal raus: Ideen gegen den Optimierungswahn keine Hilfe mehr sein (ein klassischer Ratgeber würde der Idee des Buches in gewisser Weise ja auch gerade heraus widersprechen). Das Buch ist vielmehr ein netter Zeitvertreib für einen faulen Nachmittag – schön gestaltet, humorvoll, leicht zu lesen. Man blättert darin, nimmt sich vor, mal wieder ein paar Karten an jene Menschen zu schreiben, deren postalische Adresse man tatsächlich noch hat, schlägt es wieder zu und träumt ein bisschen weiter vor sich hin.
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Ich bin da mal raus: Ideen gegen den Optimierungswahn ist bei Kein & Aber erschienen.
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