Der amerikanische Westen ist heute eher der Ort, an dem Technologie-Träume wahr werden, mit an den Horizont reichenden Großstädten, zusammengehalten mit einem endlosen Gewirr aus Highways. Doch parallel zu diesem hochtechnologisierten Westen existiert noch der mythische Westen, eine Erzählung, die essentiell ist für Amerikas Verständnis von sich selbst. How Much of These Hills Is Gold von C Pam Zhang erzählt die Geschichte vom großen Goldrausch aus anderen Augen und bereichert den Corpus revisionistischer Western um eine Perspektive, die in die Geschichtsschreibung kaum bzw. spät aufgenommen wurde.
Wer an Western denkt, der denkt an Cowboys und Indianer. Diese Cowboys sind freilich überwiegend weiße Männer. Doch der wilde Westen war viel durchmischter, als es die klassischen Western erzählten. Fast vergessen sind die abertausenden Asiaten, überwiegend Chinesen, die dabei halfen, die transkontinentale Eisenbahn von der Westküste her zu errichten. Glücksuchende, ausgebeutet und fast vergessen.
How Much of These Hills Is Gold erzählt von Glücksuchenden. Doch aus den Träumen aus Gold wird schnell Kohle. Der Roman beginnt mit dem Tod des Vaters der beiden Kinder Lucy und Sam. Die Mutter ist schon lange nicht mehr da. Und so stehen Lucy und Sam dann mittellos und anders in einer Kohlenminensiedlung. Ba, der Vater, träumte einst vom großen Wurf als Goldgräber, die Umstände – eine Familie mit Kindern – zwangen ihn zur Arbeit in den Minen. Die zurückbleibenden Mädchen hält nun nichts mehr im Westen. Sie verstauen die Leiche des Verstorbenen in der Reisetruhe der Mutter, mit der diese einst aus China kam, schnallen sie auf ein gestohlenes Pferd und ziehen gen Osten. Sam will den Vater begraben, wo es wild ist. Lucy will am liebsten in den zivilisierten Osten, wo es Ordnung gibt. Sie ist klug und durstet nach Bildung. Sam wäre lieber ein Cowboy. Auf sich allein gestellt, schaffen es die beiden trotzdem nicht, an einem Strang zu ziehen. Lucys Sehnsucht nach Stabilität steht Sams Suche nach Abenteuer unvereinbar entgegen. Es ist so oder so ein gefährliches Leben: zwar sind die beiden im Western Territory geboren, Rechte haben sie aufgrund ihrer Ethnie aber nicht – “They’ll make anything a crime for the likes of us” (10).
The worst kinds of people crawled West to pan for gold (57).
How Much of These Hills Is Gold zeigt den Westen als erbarmungslosen, wilden Ort voll grobschlächtiger Typen, die sich das Recht drehen, wie sie es brauchen. Das Versprechen auf Erneuerung und Transformation läuft letztlich ins Leere. Gleiches gilt für Lucy und Sam. Der Roman ist weniger ein Text über Eisenbahnbau oder das Goldschürfen, sondern eher ein Buch über Identität und Heimat. Ihnen ist der Herkunftsort der Eltern genauso ein Rätsel wie der Platz, den sie in dem Land, in dem sie geboren wurden, einnehmen können. Sie sind nicht einmal in sich selbst zuhause: Sam wurde als Ersatzsohn ihres Vaters erzogen und lebt lieber als Mann. Lucy will am liebsten ihre eigene Geschichte als Tochter eines Gold- und Kohlegräbers vergessen. Doch was kann sie stattdessen sein, wenn die Welt um sie herum immer nur eine Chinesin sieht? Es ist eine fesselnde, tragische Geschichte, erzählt in knappen Sätzen, immer wieder durchzogen von Chinesischen Brocken, die unübersetzt bleiben und so das Gefühl eines ungeordneten Dazwischenseins – voller Sehnsucht und Resignation – für den Leser aufs Papier bringen.
How Much of These Hills is Gold zeigt uns einen Westen unerzählter Geschichten, wo das Versprechen auf Erneuerung von alten Lastern eingeholt wird, wo Ungerechtigkeit und Rassismus Träume zum Platzen bringen. Von einem Westen zerfressen von Umweltzerstörung und einer Gier, die keine Farben kennt. Nur Gold.
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How Much of These Hills is Gold erschien 2020 bei Penguin. Update: Der Roman ist im Sommer 2021 unter dem Titel Wie viel von diesen Hügeln ist Gold bei Fischer erschienen.
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