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Hitzige Gemüter: Anton Čechovs Sommergeschichten

Sommergeschichten von Anton ČechovDer Erzähler Anton Čechov lebt etwas im Schatten der anderen beiden großen russischen Autoren, Tolstoi und Dostojewski. Diogenes ruft ihn mit einer Sammlung von Peter Urban übersetzten Sommergeschichten in Erinnerung. Es sind hitzige, humorvolle Erzählungen, die ins russische Gemüt an lauen Sommertagen tauchen.

Wenn man mit russischer Erzählliteratur wenig vertraut ist, braucht es schon einige Momente, sich in diese in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Erzählungen einzufinden. Namen, Währung und Vokabeln (bspw. Telega für eine Art einfacher Pferdewagen) erscheinen fremd und lassen einen ab und zu eine Suchmaschine bemühen oder den Überblick über das Personal verlieren. Apropos Personal: Die Menschen hier sind von einer anderen Mentalität. Warum schreien die sich alle so an?, fragt man sich angesichts der Dialoge, in denen beinah jeder Satz mit einem Ausrufezeichen versehen ist. Eher ruppigere Gemüte bevölkern diese insgesamt 24 Erzählungen. Mal grantig, eigennützig, geschröpft oder frivol sind Čechovs Figuren, die überwiegend in ländlichen Gegenden zuhause sind, wenngleich Bauern hier seltener erscheinen als Bürger und Beamte, die auch mal in den schönen Sommerhäusern der Krim residieren.

Der Sommer ist natürlich der rote Faden, der diese Sammlung zusammenhält. Ohne Schwermut und stilistisch reduziert erzählt, entfalten sich vor dem Leser teils irrwitzige Situationen, wie sie die Hitze des Sommers wohl bringen mag. Es beginnt im Zug: In “Einer von vielen” bittet ein gestresster Familienvater “eine Stunde vor Abfahrt des Zuges in die Sommerfrische” (7) einen Freund um einen Revolver. Alle wollen, dass er etwas für sie tut und er hat die Nase gestrichen voll. Doch anstelle der Waffe bekommt er von seinem Gesprächspartner nur eine weitere Bitte. Ähnlich pointiert ist “Aus den Erinnerungen eines Idealisten”: Ein junger Mann mietet sich für 28 Tage Urlaub in ein Sommerhaus ein. Er hat sich extra einen Vorschuss auszahlen lassen, um endlich einmal “zu leben” (20). Doch der unvergessliche Sommer wird teurer als ohnehin gedacht, denn er misinterpretiert die Gastfreundschaft seiner Gastgeberin.

Missverständnisse verkomplizieren noch so manch andere Liebelei. Der längste und für mich beste Text “Lebende Ware” erzählt von der Affäre eines wohlhabenden Mannes und einer verheirateten Frau. Sie werden erwischt. Das Unrecht will der Liebhaber dem Gehörnten versilbern. Er gibt dem Mann sein halbes Vermögen, wenn er mit dessen Frau durchbrennen kann. Man macht es sich an der Krim gemütlich. Doch dann mietet der nun ebenfalls wohlhabende Ehemann das Nachbarhaus. In “Die Beichte oder Olja, Zenja, Zoja” erzählt ein alleinstehender Mann nicht ohne Komik über sein Unglück in Liebesangelegenheiten. Hier wird unter anderem ein Schluckauf zum Liebestöter.

Etwas ernster und mit größerer Distanz zu bürgerlichen Sommerabenteuern geht es hingegen in “Begegnung” und “Die Schalmei” zu. In “Begegnung” zieht Efrem durstig durch ödes Land, um Geld für die niedergebrannte Kirche in seinem Heimatdorf zu sammeln. Dann begegnet er dem Taugenichts Kuzma, den er nicht mehr los wird und ihn um sein Geld erleichtert. Der zweite Text könnte nicht aktueller sein: Ein Verwalter begegnet auf einer Wanderung einem alten Hirten, der sich nicht nur über die weichen, untüchtigen Jungen beschwert, sondern auch über eine sterbende Natur: Die Tiere werden weniger, Wälder kahler, Bäche trocknen aus.

Die Sommergeschichten von Anton Čechov sind ein unterhaltsamer Abstecher in das provinzielle, russische Gemüt zu einer anderen Zeit. Abwechslungsreich, voller Ironie und in Komik gekleideter Tragik geben sich die Erzählungen kurzweilig, pointiert und oft kurios – literarische Häppchen für laue Sommertage am See.

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Sommergeschichten von Anton Čechovs  ist bei Diogenes erhältlich.