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Aufziehende Schatten: Der Lichthof von Hartmut Lange

Der Lichthof Hartmut LangeEtwas bleibt verschlossen: Hartmut Lange veröffentlicht mit Der Lichthof vier Novellen, in denen seine Protagonisten keinen rechten Zugang zu ihrer Gegenwart haben und etwas überrumpelt werden von einem Wandel, der sich unergründlich an sie schleicht. Die keine hundert Seiten fassende Sammlung schließt mit einem autobiografischen Text, in dem der Autor von Weihnachten im Jahr 1944 erzählt. Auch hier ist er sich als Kind nicht gänzlich bewusst, was um ihn herum geschieht. Es sind fünf konzentriert erzählte Texte, die aus ihrer Ruhe heraus eine Atmosphäre der Unbehaustheit heraufbeschwören.

In der Titelgeschichte verbringt eine Frau ihre Zeit in einer 160 Quadratmeter großen Wohnung, während ihr Mann auf Geschäftsreise ist. Sie driftet durch den Tag, in ihrer Gedankenwelt bekommt der Innenhof des Hauses eine unheimliche Qualität: Ohne Zugang und unverputzt, nimmt sie ihn als Schandfleck war, vor dessen Anblick die Augen von Besuchern zu schützen sind. Da sie auf Wunsch ihres Mannes ihre Berufstätigkeit aufgeben hat, ist sie viel mit sich allein. Ihr Alltag ist banal, sodass der unansehnliche Lichthof erst die Bedeutung eines “aufgewühlte[n] Abgrund[s]” annehmen kann (25). Tatsächlich bekommt sie eigentlich keinen Besuch, ihr Mann ist lediglich einige Male per Telefon zugeschaltet, bis schließlich ein Mann mit Koffer vor ihrer Tür steht, mit einer Notiz ihres Gatten, in dem dieser ihr sachlich mitteilt, sich neu verliebt zu haben. Sie möge ihm doch bitte ein paar Sachen in den leeren Koffer packen und seinem Bediensteten mitgeben. “Liebe ist keine Gelegenheit zur Freiheit, sie geschieht aus Not” lässt Lange seine Hannelore dann denken (22). Die Ruhe mit der er dies erzählt, ist gespenstisch und wirkt unheilvoll mit Blick auf die Frage, was seine Protagonistin mit ihrer Freiheit nun anstellen wird.

“Novellen” ist ein beinah großzügiger Paratext für die vier Erzählungen. Der zweite Text, “Der Weg zum Meer”, ist beispielsweise mit gerade einmal sieben Seiten eher eine Kurzgeschichte. Erzählt wird hier von einem Schauspieler, dem es geistig und körperlich nicht mehr so recht gelingen will, sich in seine Rollen einzufinden. Um den Fremden in Ibsens Frau vom Meer doch noch überzeugend zu verkörpern, reist er schließlich nach Sylt. Nach Orientierung suchend ist auch das Paar in “Der Navigator”, das sich auf der Rückreise von einem Urlaub aufgrund eines defekten Navigationsgeräts im Nirgendwo verfährt. Wie schon der Lichthof in der gleichnamigen Novelle nimmt dieser Gegenstand eine höhere Bedeutung für die Frau an. Da Lange hier den männlichen Teil des Paares fokalisiert, bleibt ihre Faszination mit dem defekten Gerät rätselhaft. Es scheint ihr Auskunft über ihr Leben beziehungsweise die Beziehung der beiden zu geben: “Ich möchte dorthin, wohin mich der Navigator führt, wenn er nicht mehr funktioniert, ins Nirgendwo” (49-50).

Die fünf Texte nehmen die Leser mit zu dem Moment, in dem aus rissig gewordenen Leben Brüche entstehen, ohne dass die Protagonisten das aufziehende Übel wirklich begreifen können. Die Texte sind von einer ruhigen Hand geschrieben und aufs Wesentliche kondensiert, sodass zuweilen eine enervierende Taubheit in ihnen liegt, wo man durchaus auch einen Ausbruch erwarten könnte. Es ist keine aufregende Prosa, aber eine, die trotz aller Kürze über ihr letztes Wort hinaus nachhallt.

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Der Lichthof ist bei Diogenes erschienen.