Rolf ist tot und Marlene findet sich in einer defekten Toilettenkabine eingeschlossen, während die Trauerfeier beginnt. Ein Slapstick-Moment öffnet Susann Pásztors tragikomischen Roman Von hier aus weiter, der sich um ein ernstes Thema dreht: Wie weitermachen, wenn der Partner gestorben ist und man eigentlich mit ihm gehen wollte? Woher die Kraft nehmen, spät im Leben einen Neuanfang zu finden? Freundschaft ist die Antwort, die die Autorin in Von hier aus weiter Lesenden auf diese Fragen präsentiert.
Leben im Stream: Tiny House von Mario Wurmitzer
Emil ist verhinderter Literat und lebt in einem Tiny House als Marketinginstrument: Denn seine Existenz dort wird gestreamt. Auf sozialen Medien hat er viele Follower. Aber es ist nur die erste Station von vielen eher abwegigen und doch sehr gegenwärtigen Berufen, die er in Mario Wurmitzers aktuellem Roman ergreift: Wie in einem Social-Media-Feed stolpert er von einem suggested content zum nächsten, könnte man sagen, und verfängt sich dabei in neoliberal-rechtsradikalen Kreisen. Eine maximal unterhaltsame Satire auf die aktuellen Verhältnisse.Aus der Zeit: Dius von Stefan Hertmans
Anton ist Dozent und Doktorand der Kunstphilosophie an einer Universität in der flämischen Region Belgiens. Einer seiner Studenten sticht heraus – Egidius De Blaeser (genannt Dius) ist selten anwesend, etwas provokant und ein genialer Künstler. Unvermittelt steht er vor Antons Tür, bietet ihm einen ruhigen Arbeitsraum in einem abgelegenen Dorf an – und seine Freundschaft. Dius von Stefan Hertmans ist ein Roman über eine unkonventionelle Freundschaft und die Kunst.Nicht nichts: Dr. No von Percival Everett
Percival Everett hat einen Lauf: War er schon immer ein guter und produktiver Autor von Romanen und Erzählungen, hat er es mit seinem letzten Roman James auf den Olymp geschafft. Sowohl der National Book Award als auch der Pulitzer Prize gingen an ihn. Er hat sich viel getraut und alles gewonnen: eine Re-Imagination von Twains uramerikanischem Roman Huckleberry Finn aus Sicht des Sklaven Jim. Vorher hatte er mit Die Bäume einen satirischen Crime Novel geschrieben, und nun folgt mit Dr. No ein absurder wie komischer Thriller, der sich nicht nur im Titel bei James Bond bedient.Mangel an Liebesfähigkeit: Medulla von Verena Günther
„Medulla“ bedeutet wörtlich Mark – zumindest im medizinischen Bereich. Symbolisch betrachtet referenziert es das Innerste oder das Wesentliche oder einfach das Selbst. Verena Günthers Roman Medulla schärft das Verständnis des Begriffs nicht zwingend. Man kann aber festhalten, dass die sechs Personen, die sie porträtiert, sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Ihre Innerlichkeit, ihr Kern, wird dennoch selten scharf – vielleicht liegt es am Umbruch, in dem sie sich befinden. Vielleicht liegt da aber auch der Kern der Krisen, denen Lesende hier beiwohnen.Anamnese: Botanik des Wahnsinns von Leon Engler
Verrückt sein oder verrückt machen: Leon Engler erzählt in seinem autobiografischen Debütroman Botanik des Wahnsinns die Familiengeschichte anhand der psychischen Erkrankungen, die sich durch die Generationen ziehen. Das Werk beginnt mit dem Autor, der die Hinterlassenschaften der Mutter nach einer Zwangsräumung sortiert – alles Persönliche wurde fälschlicherweise zerstört, nur Rechnungen und Amtsschreiben sind erhalten geblieben. Dann springt der Text in die Vergangenheit – im Hintergrund stets die Frage nach der genetischen Disposition für psychische Erkrankungen: Könnte es auch ihn treffen?Notgemeinschaft: Dein Herz, ein wildes Tier von Jardine Libaire
Dein Herz, ein wildes Tier von Jardine Libaire ist eine amerikanische Erzählung über Aussteiger im sogenannten Flyover-Country – also fernab der Metropolregionen der Ost- und Westküste. Im Kern geht es um Staci, Ray, Ernie und Coral – eine zufällig zusammengewürfelte Truppe, die plötzlich ohne ihre Aussteiger-Community klarkommen muss und zu einer Art Familie zusammenwächst.Labyrinthiner Dschungel: Die Holländerinnen von Dorothee Elmiger
Die Holländerinnen von Dorothee Elmiger ist inspiriert von einer realen Begebenheit: Zwei Holländerinnen verschwinden spurlos im küstennahen Dschungel Panamas. Der bis heute nicht aufgeklärte Fall erfährt auch in Elmigers labyrinthinen Sätzen keine Klarheit: In ihrer Erzählung bekommt eine namenlose Autorin den Auftrag, das neue Projekt eines gefeierten Theatermachers zu begleiten und zu protokollieren. Zusammen mit anderen Kulturschaffenden wandelt man auf den Spuren der Vermissten und verliert sich in Geschichten und im Getöse von Flora und Fauna.Zweiter Frühling: Strandgut von Benjamin Myers
Buckys siebzigjährige Knochen schmerzen. So sehr, dass er von Opiaten abhängig ist. Die goldene Stunde, in der er genug Pillen intus hat, in der mal alles gut erscheint, ist scheinbar alles, was ihm im Leben noch bleibt. Vor einem Jahr hat er seine Frau an Krebs verloren. Doch solange man lebt, öffnet das Leben immer wieder neue Türen. Man muss nur hindurchgehen. Und genau das macht Bucky in Benjamin Myers’ neuem Roman Strandgut: Er wurde ins englische Scarborough eingeladen, um zu singen.Ein Vogel möcht ich sein: Psychopompos von Amélie Nothomb
Auf Amélie Nothomb ist Verlass: Wie ein Uhrwerk veröffentlicht sie beinahe im Jahresrhythmus kurze Romane mit selten mehr als 200 Seiten. Mehr braucht sie nicht, destilliert ihre oft ganze Lebensgeschichten umfassenden Erzählungen auf ihre Essenz. Mit Psychopompos legt sie nun einen kurzen, autobiografischen Roman vor – ihr vielleicht persönlichstes Werk. Schließlich ist sie die Protagonistin. In Psychopompos geht es um ihr Aufwachsen als Diplomatentochter, die in Vögeln so etwas wie ihre Seelenverwandten findet und über sie zum Schreiben kommt.