Buckys siebzigjährige Knochen schmerzen. So sehr, dass er von Opiaten abhängig ist. Die goldene Stunde, in der er genug Pillen intus hat, in der mal alles gut erscheint, ist scheinbar alles, was ihm im Leben noch bleibt. Vor einem Jahr hat er seine Frau an Krebs verloren. Doch solange man lebt, öffnet das Leben immer wieder neue Türen. Man muss nur hindurchgehen. Und genau das macht Bucky in Benjamin Myers’ neuem Roman Strandgut: Er wurde ins englische Scarborough eingeladen, um zu singen.
Ein Vogel möcht ich sein: Psychopompos von Amélie Nothomb
Auf Amélie Nothomb ist Verlass: Wie ein Uhrwerk veröffentlicht sie beinahe im Jahresrhythmus kurze Romane mit selten mehr als 200 Seiten. Mehr braucht sie nicht, destilliert ihre oft ganze Lebensgeschichten umfassenden Erzählungen auf ihre Essenz. Mit Psychopompos legt sie nun einen kurzen, autobiografischen Roman vor – ihr vielleicht persönlichstes Werk. Schließlich ist sie die Protagonistin. In Psychopompos geht es um ihr Aufwachsen als Diplomatentochter, die in Vögeln so etwas wie ihre Seelenverwandten findet und über sie zum Schreiben kommt.
Wenn Elefanten Politik machen: Das Geschenk von Gaea Schoeters
Das Geschenk von Gaea Schoeters löst das große Versprechen ein, das ihr viel besprochenes Debüt Trophäe machte. Das Geschenk nimmt die Themen des Vorgängers – Zivilisation und Naturschutz, Postkolonialismus, Maskulinität – auf und entwickelt sie weiter zu einer erschütternden Diagnose zur Demokratie in westlichen Gesellschaften. Der Roman ist eine hintersinnige Politiksatire, in der sich ein machtpolitisch taktierender deutscher Kanzler mit einem erstaunlichen Problem auseinandersetzen muss: 20.000 afrikanische Elefanten tauchen plötzlich in der Hauptstadt auf.
Überwuchert: Stammzellen von Alina Lindermuth
In Alina Lindermuths neuem Roman Stammzellen hat eine weltumspannende Gesundheitskrise alles im Griff: Die Dendrose genannte Erkrankung lässt die Betroffenen binnen Monaten zu Bäumen werden. In Stammzellen begleiten wir Ronja, Notfallärztin und ehrenamtliche Dendrose-Beraterin, über ein Jahr in ihrem Leben. Neben einem symptomatischen Kribbeln in den Zehen ist da eine sich entwickelnde Beziehung zu Elio: Welche Form der Verwurzelung begleiten wir hier?
Die Welt entglitt ihm: Crazy Land von Timotheus Ueberall
Crazy Land von Timotheus Ueberall ist ein beinahe fiebriger Text, in dem Protagonist Aki und Setting Wien in einen psychotischen Zustand abgleiten. Ueberall lässt das Politische und Persönliche parallel laufen, sich überkreuzen, ohne es für den Leser zu ordnen, zu entwirren. Es ist ein Abstieg in den Wahnsinn einer haltlosen Gegenwart.
Wenn die Dinge ihren Zauber verlieren: Der Duft des Wals von Paul Ruban
Wenn der Familienurlaub zum letzten Strohhalm wird: Hugo und Judith begeben sich mit Tochter Ava in ein spanischsprachiges Urlaubsparadies, um die schal gewordene Ehe zu retten. Aber der abgestandene Gestank der verhärteten Ehe findet gleich am ersten Urlaubstag seine Entsprechung in einem gestrandeten Wal, der explodiert und das Urlaubsparadies in einen penetranten Gestank taucht. Multiperspektivisch, temporeich, humorvoll und mit satirischen Sprenkeln versehen, ist Der Duft des Wals des Kanadiers Paul Ruban ein vergnüglicher Sommerroman.
Wohin mit der Wut? Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg
Jara und Anto sind beste Freundinnen, nennen sich aber lieber Schwestern. Und sie sind ziemlich aggro drauf: Mit Baseballschlägern bewaffnet, ziehen die Teenager durch die Stadt. Schaden nehmen aber eher Autos als Menschen. Es ist eine intensive Freundschaft, die, aus Jaras Sicht betrachtet, nicht immer auf Augenhöhe erscheint. Wie gut kennen wir unsere Freunde, wie gut kennen wir uns selbst? Wenn wir lächeln von Mascha Unterlehberg ist ein bemerkenswerter Coming-of-Age-Roman, strukturell originell, inhaltlich aufwühlend.
Sommermärchen: Das Leben fing im Sommer an von Christoph Kramer
Ein Erfolgsrezept: Ein großer Publikumsverlag veröffentlicht den Debütroman eines Fußballstars. Christoph Kramers autobiografische Erzählung Das Leben fing im Sommer an blickt zurück auf das Jahr des deutschen Sommermärchens, ein nostalgischer Punkt in der jüngeren deutschen Geschichte, in dem im Land alles in Ordnung erschien und die Deutschen ungewöhnlich optimistisch und zufrieden wirkten. Tatsächlich spielen Fußball und die Fußball-WM im eigenen Land in diesem konventionell erzählten, konservativen Coming-of-Age-Roman aber nur eine untergeordnete Rolle. Die Starspieler sind die erste Liebe und die Freundschaft in einem für den Protagonisten prägenden Sommer seines 15. Lebensjahres.
Unerträgliche Leichtigkeit: Alles was lebt von Kristina Schilke
Kristina Schilkes Episodenroman Alles was lebt bringt uns in den Bayerischen Wald, wo Klara im Haus ihrer verstorbenen Eltern eine unheimliche Entdeckung macht: In einem Zimmer scheinen die Naturgesetze nicht zu gelten. Sobald man ihn betritt, beginnt man zu schweben. In der Folge begegnen wir weiteren Personen, die auf die eine oder andere Weise mit Klara verbunden sind und allesamt mit den Fallstricken des Lebens hadern.
Queer durch die Republik: Rauchzeichen für Rio von Micha Riegel
Rauchzeichen für Rio von Micha Riegel ist wie viele Debüts ein klassischer Coming of Age Roman, der uns in die 1990er Jahre entführt. Samu ist 16 und in seinem Heimatdorf im ländlichen Bayern unweit Würzburgs nicht gerade beliebt. Er ist anders, seine Homosexualität gewissermaßen ein offenes Geheimnis. Als ihn Max, der jüngste Spross des Bürgermeisters, unverhofft küsst, gerät die konservative Provinzidylle in Schieflage – und Samu muss um sein Leben fürchten. Er verlässt das Dorf in Richtung Frankfurt, wo es ihn, Schockverliebt in Lenni, aber nicht lange hält.