I Know You Know Who I Am: Also ich weiß du weißt wer ich bin ist der Titel von Peter Kisperts – so viel sei vorweg genommen – hervorragendem literarischen Debüt. Dem Erzählband gelingt das Kunststück, in verblüffend unterhaltsamen, zu gleichen Teilen witzigen wie tragischen Geschichten, nach der conditio humana zu fragen. Er entdeckt seine Erzähler in den Lügen, die sie über sich selbst erzählen.
“Gibt es fröhliche Clowns, und wie wäre das?”: Weiter atmen von Zsófia Bán
Man soll ein Buch ja nicht nach seinem Umschlag bewerten. Versuchen wir es trotzdem: Den Erzählband Weiter atmen von Zsófia Bán ziert Attila Szücs Gemälde Mann badet einen Löwen. Es wirkt etwas unscharf, putzig und dunkel zugleich. Verspielt, intim, absurd und unergründlich sind Adjektive, die mir durch den Kopf gegeneinander purzeln – und das ist dann auch eine ziemlich akkurate wenn auch wohl etwas uneindeutige Beschreibung meines Leseerlebnisses.
“Wir tranken. Dann tranken wir noch was”: Alles muss ganz anders werden von Jörg Fauser
Jörg Fauser hatte gerade die Feier zu seinem 43. Geburtstag verlassen, als er in den frühen Morgenstunden des 17. Juli 1987 auf der A 94 tödlich verunglückte. Alkohol, frühe Morgenstunden, Unglück – das passt zu seinen zwischen 1975 und 1979 entstandenen Erzählungen, die jetzt gesammelt unter dem durchaus programmatisch zu verstehenden Titel Alles muss ganz anders werden bei Diogenes erschienen sind. Es ist eine Neuvorstellung eines Autors, der heute kaum noch geläufig ist, aber sicher Spuren in der deutschsprachigen Literatur hinterließ, beispielsweise als Vorbild für Schriftsteller wie Benjamin von Stuckrad-Barre.
Hitzige Gemüter: Anton Čechovs Sommergeschichten
Der Erzähler Anton Čechov lebt etwas im Schatten der anderen beiden großen russischen Autoren, Tolstoi und Dostojewski. Diogenes ruft ihn mit einer Sammlung von Peter Urban übersetzten Sommergeschichten in Erinnerung. Es sind hitzige, humorvolle Erzählungen, die ins russische Gemüt an lauen Sommertagen tauchen.
Vernarbte Leben: Verge von Lidia Yuknavitch
Verge bedeutet zu deutsch Rand oder Schwelle. Einen trefferenden Titel hätte sich Lidia Yuknavitch für ihre zwanzig Stories nicht ausdenken können. Der Erzählband führt den Leser an die Ränder der Gesellschaft. Es sind Prostituierte, Waisen, Drogenabhängige, Homosexuelle und Drag Queens, die ihre eigenen und die Vorstellungen anderer navigieren und dabei manche Verwundung erdulden müssen.
Aufziehende Schatten: Der Lichthof von Hartmut Lange
Etwas bleibt verschlossen: Hartmut Lange veröffentlicht mit Der Lichthof vier Novellen, in denen seine Protagonisten keinen rechten Zugang zu ihrer Gegenwart haben und etwas überrumpelt werden von einem Wandel, der sich unergründlich an sie schleicht. Die keine hundert Seiten fassende Sammlung schließt mit einem autobiografischen Text, in dem der Autor von Weihnachten im Jahr 1944 erzählt. Auch hier ist er sich als Kind nicht gänzlich bewusst, was um ihn herum geschieht. Es sind fünf konzentriert erzählte Texte, die aus ihrer Ruhe heraus eine Atmosphäre der Unbehaustheit heraufbeschwören.
„Früher schien alles möglich zu sein“: Alle wollen was erleben von Fabian Hischmann
Wird das Leben jemals so schön, wie man es sich einmal ausgemalt hat? Manchmal schon, aber selten von Dauer. In Fabian Hischmanns exzellentem Erzählband Alle wollen was erleben wohnt viel Melancholie, aber auch großer Trost. Die fundamentale Einsamkeit des Individuums in westlichen Gesellschaften wiegt er auf mit den Möglichkeiten, die sich heute bieten, immer wieder belauert von der großen Frage, ist es jemals genug?
Alles oder nichts: Die Wahrheit über das Lügen von Benedict Wells
Der 34-jährige Autor Benedict Wells hat es in jungen Jahren weit gebracht: Sein vierter Roman Vom Ende der Einsamkeit (2016) hielt sich über ein Jahr auf der Spiegel Bestsellerliste und wurde in 30 Sprachen übersetzt. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer bereits zehn Jahre spannenden Karriere. Mit Die Wahrheit über das Lügen präsentiert er nun einen Erzählband mit zehn Geschichten aus zehn Jahren.
Der böse Mensch von Lorenz Just [Kritik]
Kurze Erzähltexte fristen ein eher stiefmütterliches Dasein in der hiesigen Literaturlandschaft. Erzählbände erscheinen bei großen Verlagen wenn überhaupt nur von etablierten Schriftstellern. Wenn ein Verlag wie Dumont mit Der böse Mensch den Erzählband eines Nachwuchstalents veröffentlicht, weckt das Neugier.
Zum Heulen komisch: Ottessa Moshfeghs erster Erzählband [Kritik]
Dem Bild eines heulenden Hundes wohnt etwas Tragisches inne: Es äußert sich eine Verbindung zu etwas, das längst verloren gegangen ist. Das Primitive bricht auch immer wieder in den 14 Erzählungen von Ottessa Moshfeghs erstem Erzählband Homesick for Another World hervor. Es ist ein Heimweh im übertragenen Sinn, das Moshfeghs Protagonisten umtreibt: Der Wunsch nach einem anderen Zustand, einer Verbindung zum Leben, die ursprünglicher ist und tiefer geht, als das alltägliche Allerlei einer postindustriellen Welt.