Mit Rejection legt der Amerikaner Tony Tulathimutte einen hoch literarischen, rauschhaft lesbaren Text vor, der die Grenzen zwischen Erzählband und Roman verwischt. Rejection ist Fiktion nah am Zeitgeschehen aus längeren, miteinander verbundenen, aber autark funktionierenden Erzählungen. Die nach Anerkennung dürstenden und in ihrer eigenen Subjektivität gefangene Protagonisten werden in den brisanten Diskursen unserer digitalen Gesellschaft platziert – und zerbrechen daran. Zwischen Fremdscham, Unbehagen und absurdem Amusement zirkulieren diese Texte, um in einer Meditation über Fiktion zu kulminieren.
Würde lassen – Würde leben: Museum der Einsamkeit von Ralf Rothmann
Zweifel und innerer Frieden, Demütigung und Würde – im Spannungsfeld dieser Gegensatzpaare entfalten sich die neun Erzählungen in Ralf Rothmanns neuem Erzählband Museum der Einsamkeit. „Sometimes I wonder what it’s gonna take to find dignity“, stellt er programmatisch ein Zitat Bob Dylans dem Band voran und zeigt diese Suche in äußerlich kontrolliert und ruhig erzählten, aber innerlich reißenden Geschichten.
Kunst und Wirklichkeit: Der etwa vierzigjährige Mann von Hartmut Lange
Ein schmaler Band, große Themen: Hartmut Langes Der etwa vierzigjährige Mann vereint drei Texte, die sich mit der Konfrontation der Wirklichkeit beschäftigen und mit der Ablenkung davon, in die man flüchtet. Mit zeitloser Eleganz geschrieben, stößt der Schriftsteller in die Absurdität der menschlichen Existenz vor.
Menschliche Schlamassel: Starke Meinung zu brennenden Themen von Etgar Keret
Wer den neuen Kurzgeschichtenband Starke Meinung zu brennenden Themen von Etgar Keret beschreiben will, kann aus dem Vollen schöpfen: absurd, traurig, kurzweilig, rätselhaft, pointiert, verrückt, vernünftig – das sind einige der Adjektive, die passen. Stark am Puls der Zeit vereint Starke Meinung zu brennenden Themen über dreißig Erzählungen von erstaunlicher Originalität mit hoher Qualitätsdichte. An manchen Stellen könnte man meinen, der israelische Autor läutet das Post-Anthropozän ein.
I Never Know How Old I Was von David Joseph
Schlicht, alltäglich, flüchtig: Die Geschichten in David Josephs drittem Erzählband I Never Know How Old I Was erkunden zwischenmenschliche Beziehungen über alle Etappen gelebten und gefühlten Alters hinweg, ohne jemals Zeit zu schinden. Schnörkellos und ruhig, geradlinig und selten pointiert erscheinen die Erzählungen auf den ersten Blick unscheinbar, ziehen die Leser jedoch mühelos in ihren Bann.
Sexueller Notstand auf der Alb: Sennentuntschi von Hansjörg Schneider
Sennentuntschi von Hansjörg Schneider ist ein Theaterstück, das 1976 erstmals aufgeführt wurde und einen kleinen Skandal in der Schweiz auslöste. Diogenes druckt den Text nun erneut ab, sowohl in Hochdeutsch als auch im Dialekt, angereichert um zwei frühe Erzählungen des Autors sowie zwei Nachworte. Das Stück greift eine Sage der Alpenregion auf und balanciert zwischen zotigem Bauernschwank und modernem Theater. Ein großer Spaß, begleitet von berauschender Prosa.
Nothing, forever: Flunker von Dennis Cooper
Dennis Cooper serviert uns transgressive Häppchen: Sechs Stories, die man in ihrer Entstehungszeit bis zu seinem vorletzten Roman The Marbled Swarm zurückverfolgen kann, sind im unabhängigen Kleinverlag Amphetamine Sulphate erschienen. Flunker liest sich wie ein Sampler seines Oeuvres, der Erinnerungen an vergangene Großtaten wie Die Schlampen oder Ich wünschte wach werden lässt.
Stützrädchen beim Klarkommen in der Welt: Nachts sind alle Katzen von Nina Heller
Nina Hellers Debüt Nachts sind alle Katzen wird von dem Paratext Softhorrorstories begleitet. Gruselig wird es aber selten, die Elemente des Horrorgenres werden wenn überhaupt nur wie eine Prise Salz in diese Texte gestreut, die sich mit einem ganz anderen Horror auseinandersetzen: Des eigenen Körpers, der Einsamkeit und Entfremdung des postmodernen Lebens. Referenziell und pfiffig erzählen diese neun Geschichten zwischen Melancholie und Komik von jungen Frauen und den Absurditäten des Alltags.
The Great American Everything von Scott Gloden
Der Titel dieses Storybands ist vielleicht etwas täuschend: Die Erzählungen in Scott Glodens The Great American Everything spielen vornehmlich in den Südstaaten und nehmen überwiegend zwischenmenschliche Beziehung, u.a. zwischen Geschwistern und Liebenden ins Visier – im Angesicht der eher unschönen Ausprägungen des modernen Lebens. Ausgezeichnet mit dem C. Michael Curtis Short Story Book Prize, ist The Great American Everything ein unheimlich konsistent und kontrolliert erzähltes Debüt voller Zärtlichkeit
Tamara und Konsorten von Almut Klotz und Reverend Ch. Dabeler
Tamara und Konsorten ist der vierte Band der Reihe “kurze form” des Verbrecher Verlags, dessen dritter Eintrag, Supermilch des Nachwuchstalents Philipp Böhm, viel Lob auf sich zog. Der Verlag zeigt sich mit dem neuen Band unberechenbar: Tamara und Konsorten ist die Neuauflage einer erstmalig 2008 erschienenen Sammlung von zwei Musikveteranen, die privat und literarisch verbunden waren. Almut Klotz, einst Mitglied der Band Lassie Singers, verstarb 2013 an Krebs. Die Neuauflage enthält neben einem Nachwort des Hinterbliebenen noch die bisher unveröffentlichte Erzählung “Chantal”.